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  • ichwersonst

mehr als 1000 Beiträge seit 24.04.2002

Social Networking ...

... was für ein hochtrabender Begriff für die Fortsetzung
altbekannter Rituale mit neuer Technik. Die ganzen übergroßen
Webcam-Bildchen-Weißtduschonwelchenfurzichheutegemachthabe-Gesichter
werden genau wieder verschwinden wie alle anderen Hypes auch - ihre
"Szenegrößen" sind genauso vergessbar wie die aller anderen
Hypeszenen.

Wo früher Schulhof und Telefon herhalten mußten ist es heute halt
irgendeine Community-Webseite. Nix besonderes.

Ein Teil meines Lebends erstreckt sich natürlich auch in den
Cyberspace - durchaus ein Teil, den ich als real wahrnehme ... in
diversen Foren, Chats, eMaillisten ... ich habe Bekannte, die ich
schon 10 Jahre kenne und noch nie live und in Farbe gesehen habe ...
und ich würde sie wie meine Freunde vor Ort vermissen, wenn sie nicht
mehr da währen. Ich habe eine Webseite, weil ich sehr
mitteilungsbedürftig bin und sich (auch schon vor 20 Jahren) mein
Bekannten- und Freundeskreis über ganz Deutschland, in der
Zwischenzeit über ganz Europa verteilt und den Leuten so eine probate
Möglichkeit gegeben ist, zu schauen, was Sache ist und wo man mich
finden kann, wenn man mich treffen möchte (ist thematisch eingegrenzt
die Seite, ich breite da nicht mein Leben aus :) )

Was aber immer gerne vergessen wird, weil einem das Netz anderes
vorgaukelt: Leben im Netz ist letztendlich immer nur leben aus
zweiter Hand, Bindungen im Netz sind nicht ansatzweise so fest wie in
der "realen Realität" - Freunde mit denen man sich von angesicht zu
angesicht streitet kann man nicht einfach ausschalten. Das ist es,
was mir bei der jüngeren Generation der Nutzer extrem auffällt ...
massivste Störungen im Sozialkompass, keinerlei Konfliktkompetenz,
als Höhepunkt der Kreativität gilt vielfach schon der Einsatz fremden
CSS auf der eigenen Webseite oder das setzen eines Links mit einem
LOL-Kommentar im Blog ... als neuer Michelangelo gilt, wer ein
albernes Video ins Netz bringt auf dem er zu irgendeiner Musik den
Mund bewegt und sich möglichst neckich verrengt.

Da sehe ich die Gefahr - oder eben wenn das Leben komplett ins Netz
verlagert wird. Einerseits eine tolle Chance, Leute kennenzulernen
und sich austauschen, selbst wenn einen jeder in der Schule (so ist
es mir ergangen damals) für einen Spinner hält. Andererseits ist mir
durchaus ein Fall bekannt wo eine damals 18-Jährige binnen weniger
Wochen total vereinsamte. Was war passiert? Sie mußte ins Krankenhaus
und da gabs keinen Netzwerkanschluss. Als sie nach 3 Monaten wieder
ins Netz kam kannte sie schon kaum noch jemand - denn das Netz
vergisst schnell ... selten zuvor habe ich erlebt, daß ein paar
Wochen dramatische Auswirkungen auf das Sozialgefüge haben ... ich
habe mir tatsächlich mal bei einer 20-Jährigen langjährigen Freundin
anhören dürfen "Nun wärm doch nicht so alte Kamellen auf, das ist
doch schon Ewig her!" - ewig war in diesem Fall etwa 6 Wochen.

Wo das hinführt? Keine Ahnung, aber es wird eh nichts so heiß
gegessen wie es gekocht wird.
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