WeiXi schrieb am 20. März 2002 17:54
> Es gab und gibt eine andere Wahl.
Eine sehr philosophische Sicht. Wenn ich versuche, mich in die
Situation in den USA zu versetzen dann glaube ich, dass der Spielraum
für die amerikanische Regierung extrem eingeschränkt war, vom
persönlichen Willen der Akteure ganz abgesehen.
> IMHO ist Rache hier das einzig wirklich nachvollziehbare Argument
Mir sind im letzten halben Jahr nur sehr wenige begegnet, die diesem
Motiv in dieser Angelegenheit eine nachvollziehbare Bedeutung
einräumen. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, nicht zufällig
sind viele unserer Mühen darauf ausgerichtet, Gewalt und Aggression zu
disziplinieren.
> Aber ein Bombardement Afghanistans macht nur dann Sinn, wenn
> man annimmt, daß Al Quaida nicht ausweichen kann! [...]
> dann kann Al Quaida sozusagen überall im
> arabischen Raum weitermachen.
Sie konnten in Afg. frei schalten und walten, jetzt nicht mehr.
Natürlich werden sie versuchen, sich im grossen Stil zu reorganisieren,
aber für jeden Staat, der sie auf seinem Territorium duldet, sind sie
eine tödliche Gefahr. Ich habe keine Zweifel, dass die Amerikaner nicht
zögern werden, auch militärisch gegen diesen Staat vor zu gehen. Ich
denke, das schränkt ihren Spielraum jetzt stark ein.
Interessaner finde ich, was uns deine von mir geteilte Einschätzung
sagen will, dass die Al Qaida-Clique überall im arabischen (oder
islamischen) Raum Unterschlupf finden könnte. Was sagt uns das über
unser zukünftiges Verhältnis zu den Arabern, und über 'die Araber'
selbst?
> Aber für die Piloten der WTC-Flugzeuge waren diese Lager
> völlig unbedeutend. Die brauchen nicht zu lernen, wie man im Sand
> robbt und sich in Höhlen versteckt.
> Die müssen nur fliegen lernen, und das haben sie bei uns und in
> den USA!
Wir sollten dennoch weiterhin Araber ins Land lassen. Wie sollten sie
nur gegebenenfalls überprüfen, und sie sollten dafür Verständnis
zeigen. Ob die Basen in Afg. für die Piloten und deren Einschwören auf
den Überfall so unbedeutend waren wie du sagst kann ich nicht
beurteilen.
> dann heißt das im Allgemeinen, daß ihm die Argumente
> ausgegangen sind.
Kann sein; ich glaube nicht, dass einem die Argumente ausgehen, wenn
man handelt, obwohl die Gegenseite sich alle Mühe gibt, dieses Handeln
mit Argumenten zu verhindern, die nicht überzeugend sind.
Ich würde dir zu stimmen, wenn wir über einen Angriff der USA auf
den Irak reden würden, aber bzgl. 11.9. nicht. Es bestand für die
Amerikaner offensichtlich akuter Handlungsbedarf.
> Ich werde da reflexartig mißtrauisch.
Gut so.
> Im konkreten Fall wären als Alternativen zB denkbar: [...]
Ja, so oder so in etwa ist das alles nicht falsch, dafür zeitaufwändig.
Es sollte mehrgleisig gefahren werden; auf konkrete Bedrohung muss
entsprechend reagiert werden, und gleichzeitig könnte angesetzt
werden, die Südhalbkugel auf zu klären und zu modernisieren. Ob die
aber gerade darauf warten weiß ich nicht, und selbst wenn, dauerte es
ein paar Jahrzehnte, bis Besserung großflächig eintreten kann.
> Wenn man sich nicht mit dieser auseinandersetzt, versucht diese
> zu verstehen, und auch bereit ist seine Außenpolitik darauf
> abzustimmen, dann wird es immer Terroristen geben.
Habe ich sinngemäß auch geschrieben, da sind sich wohl die meisten
einig. Die Frage ist nur, was das konkret heissen könnte. Es hat
sich möglicherweise bei vielen die Vorstellung heraus gebildet, der
Westen sei besonders aggressiv. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig,
und wir sollten immer daran denken, dass uns die Unterjochung durch
fremde Eroberer nur wegen deren mangelnder Möglichkeiten erspart
bleibt.
> Mit Gewalt kann man zwar Terrororganisationen
> personell schwächen, wie es jetzt passiert, aber die verbleibenden
> Überlebenden reichen trotzdem völlig aus, um Terror zu verbreiten
> und sogleich neue Anhänger zu rekrutieren.
Es ist wohl nicht deine Absicht, aber mit der Argumentation kann man
auch im Pentagon vorstellig werden und neue Waffen anpreisen, die
die Zahl der Überlebenden weiter vermindert.
> Es gibt aus der Antike glaube ich diese Sage vom Ungeheuer, dem
> zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihm einen abschlägt. Für genau
> so ein Ungeheuer halte ich den Terrorismus.
"Die Hydra der griechischen Sage ist eine neunköpfige Sumpfschlange
("Lernäische Hydra"), die Herkules in einer seiner 12 Aufgaben töten
sollte. Aber immer, wenn er einen Kopf abschlug, wuchsen an seiner
Stelle zwei neue. Hilfe kam von seinem Neffen Iolaos, der den Stumpf
jedes abgeschlagenen Kopfes mit einer Fackel verbrannte und so das
Nachwachsen verhinderte."
Vorsprung durch Technik, so zu sagen.
> Die hunderten (tausenden?, was auch immer)
> Fußsoldaten der Al Quaida sind für die Organisation doch nicht
> wichtig, sie sind in kürzester Zeit ersetzbar
Die Ersetzten jedenfalls haben keine Möglichkeiten mehr. Es mag auch
sein, dass die Ausbildung zum Djihad-Krieger oder Massenselbstmörder
nicht nur drei Wochen dauert.
> Die neue Regierung wird ja nicht durch das Volk gestützt sondern
durch die USA.
Richtig, es geht zur Zeit nicht anders, oder denkst du, demokratische
Wahlen seien im Augenblick dort angezeigt? Das ist ohnehin Kram: das
'afghanische Volk' ist ja wohl ziemlich heterogen zusammengesetzt, sehr
multikulturell; wir sehen in Afg. nicht zum ersten mal, welches
Potenzial in diesem gut gemeinten Konzept steckt.
> Das heißt sie kann (und wird wenn man pessimistisch denkt) ihr
> Volk tyrannisieren, wie sie will, denn sie wird Kraft der USA
> im Sattel bleiben.
Das ist eine der schlechtesten, aber leider nicht unwahrscheinlichsten
Varianten.
> Aber wie ich weiter oben dargelegt habe, ist die jetzige Aktion in
> keinster Weise geeignet (IMHO) auch nur ein einziges zukünftiges
> Opfer zu vermeiden.
Wir werden es nie erfahren.
> [...] auch Du nicht.
Du und ich und all die Leute in den Foren, wir haben gut reden, aber
wir gehören nicht dazu.
> Im Endeffekt reduziert sich doch die ganze Herumdiskutiererei
> auf eine einzige Frage: Verringert das jetzige US-Engagement
> das Risiko zukünftiger Terroranschläge?
Ich denke, es geht um mehr. Es geht um den Umgang zwischen den
Kulturen, um Fortschritt und Ausbeutung, um Mittelalter und HighTech,
Religiösität und Aufklärung, persönliche Freiheit und bestimmendes
Kollektiv, und natürlich, wie immer, um Verantwortung und Machtstreben,
Nachhaltigkeit und Gier, Toleranz und Hass. Ich glaube, wir stehen erst
am Anfang einer Entwicklung, die uns die nächsten Jahrzehnte noch viel
Kummer bereiten wird. Es wird mir möglicherweise noch mal in den Ohren
klingeln, aber ich sage, dass die 5000 toten Afghanen von heute am Ende
niemanden mehr interessieren. Wie diese Geschichte aus geht kann
niemand sagen. Hätte Gavrilo Princip geahnt, dass er einer Entwicklung
den Anstoss gab, die zig Millionen Tote fordern, die Welt komplett
umkrempeln und erst 75 Jahre später zu ihrem Abschluss kommen würde, er
hätte sich den Anschlag auf Franz Ferdinand vielleicht verkniffen.
> Es gab und gibt eine andere Wahl.
Eine sehr philosophische Sicht. Wenn ich versuche, mich in die
Situation in den USA zu versetzen dann glaube ich, dass der Spielraum
für die amerikanische Regierung extrem eingeschränkt war, vom
persönlichen Willen der Akteure ganz abgesehen.
> IMHO ist Rache hier das einzig wirklich nachvollziehbare Argument
Mir sind im letzten halben Jahr nur sehr wenige begegnet, die diesem
Motiv in dieser Angelegenheit eine nachvollziehbare Bedeutung
einräumen. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, nicht zufällig
sind viele unserer Mühen darauf ausgerichtet, Gewalt und Aggression zu
disziplinieren.
> Aber ein Bombardement Afghanistans macht nur dann Sinn, wenn
> man annimmt, daß Al Quaida nicht ausweichen kann! [...]
> dann kann Al Quaida sozusagen überall im
> arabischen Raum weitermachen.
Sie konnten in Afg. frei schalten und walten, jetzt nicht mehr.
Natürlich werden sie versuchen, sich im grossen Stil zu reorganisieren,
aber für jeden Staat, der sie auf seinem Territorium duldet, sind sie
eine tödliche Gefahr. Ich habe keine Zweifel, dass die Amerikaner nicht
zögern werden, auch militärisch gegen diesen Staat vor zu gehen. Ich
denke, das schränkt ihren Spielraum jetzt stark ein.
Interessaner finde ich, was uns deine von mir geteilte Einschätzung
sagen will, dass die Al Qaida-Clique überall im arabischen (oder
islamischen) Raum Unterschlupf finden könnte. Was sagt uns das über
unser zukünftiges Verhältnis zu den Arabern, und über 'die Araber'
selbst?
> Aber für die Piloten der WTC-Flugzeuge waren diese Lager
> völlig unbedeutend. Die brauchen nicht zu lernen, wie man im Sand
> robbt und sich in Höhlen versteckt.
> Die müssen nur fliegen lernen, und das haben sie bei uns und in
> den USA!
Wir sollten dennoch weiterhin Araber ins Land lassen. Wie sollten sie
nur gegebenenfalls überprüfen, und sie sollten dafür Verständnis
zeigen. Ob die Basen in Afg. für die Piloten und deren Einschwören auf
den Überfall so unbedeutend waren wie du sagst kann ich nicht
beurteilen.
> dann heißt das im Allgemeinen, daß ihm die Argumente
> ausgegangen sind.
Kann sein; ich glaube nicht, dass einem die Argumente ausgehen, wenn
man handelt, obwohl die Gegenseite sich alle Mühe gibt, dieses Handeln
mit Argumenten zu verhindern, die nicht überzeugend sind.
Ich würde dir zu stimmen, wenn wir über einen Angriff der USA auf
den Irak reden würden, aber bzgl. 11.9. nicht. Es bestand für die
Amerikaner offensichtlich akuter Handlungsbedarf.
> Ich werde da reflexartig mißtrauisch.
Gut so.
> Im konkreten Fall wären als Alternativen zB denkbar: [...]
Ja, so oder so in etwa ist das alles nicht falsch, dafür zeitaufwändig.
Es sollte mehrgleisig gefahren werden; auf konkrete Bedrohung muss
entsprechend reagiert werden, und gleichzeitig könnte angesetzt
werden, die Südhalbkugel auf zu klären und zu modernisieren. Ob die
aber gerade darauf warten weiß ich nicht, und selbst wenn, dauerte es
ein paar Jahrzehnte, bis Besserung großflächig eintreten kann.
> Wenn man sich nicht mit dieser auseinandersetzt, versucht diese
> zu verstehen, und auch bereit ist seine Außenpolitik darauf
> abzustimmen, dann wird es immer Terroristen geben.
Habe ich sinngemäß auch geschrieben, da sind sich wohl die meisten
einig. Die Frage ist nur, was das konkret heissen könnte. Es hat
sich möglicherweise bei vielen die Vorstellung heraus gebildet, der
Westen sei besonders aggressiv. Ich glaube, das Gegenteil ist richtig,
und wir sollten immer daran denken, dass uns die Unterjochung durch
fremde Eroberer nur wegen deren mangelnder Möglichkeiten erspart
bleibt.
> Mit Gewalt kann man zwar Terrororganisationen
> personell schwächen, wie es jetzt passiert, aber die verbleibenden
> Überlebenden reichen trotzdem völlig aus, um Terror zu verbreiten
> und sogleich neue Anhänger zu rekrutieren.
Es ist wohl nicht deine Absicht, aber mit der Argumentation kann man
auch im Pentagon vorstellig werden und neue Waffen anpreisen, die
die Zahl der Überlebenden weiter vermindert.
> Es gibt aus der Antike glaube ich diese Sage vom Ungeheuer, dem
> zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihm einen abschlägt. Für genau
> so ein Ungeheuer halte ich den Terrorismus.
"Die Hydra der griechischen Sage ist eine neunköpfige Sumpfschlange
("Lernäische Hydra"), die Herkules in einer seiner 12 Aufgaben töten
sollte. Aber immer, wenn er einen Kopf abschlug, wuchsen an seiner
Stelle zwei neue. Hilfe kam von seinem Neffen Iolaos, der den Stumpf
jedes abgeschlagenen Kopfes mit einer Fackel verbrannte und so das
Nachwachsen verhinderte."
Vorsprung durch Technik, so zu sagen.
> Die hunderten (tausenden?, was auch immer)
> Fußsoldaten der Al Quaida sind für die Organisation doch nicht
> wichtig, sie sind in kürzester Zeit ersetzbar
Die Ersetzten jedenfalls haben keine Möglichkeiten mehr. Es mag auch
sein, dass die Ausbildung zum Djihad-Krieger oder Massenselbstmörder
nicht nur drei Wochen dauert.
> Die neue Regierung wird ja nicht durch das Volk gestützt sondern
durch die USA.
Richtig, es geht zur Zeit nicht anders, oder denkst du, demokratische
Wahlen seien im Augenblick dort angezeigt? Das ist ohnehin Kram: das
'afghanische Volk' ist ja wohl ziemlich heterogen zusammengesetzt, sehr
multikulturell; wir sehen in Afg. nicht zum ersten mal, welches
Potenzial in diesem gut gemeinten Konzept steckt.
> Das heißt sie kann (und wird wenn man pessimistisch denkt) ihr
> Volk tyrannisieren, wie sie will, denn sie wird Kraft der USA
> im Sattel bleiben.
Das ist eine der schlechtesten, aber leider nicht unwahrscheinlichsten
Varianten.
> Aber wie ich weiter oben dargelegt habe, ist die jetzige Aktion in
> keinster Weise geeignet (IMHO) auch nur ein einziges zukünftiges
> Opfer zu vermeiden.
Wir werden es nie erfahren.
> [...] auch Du nicht.
Du und ich und all die Leute in den Foren, wir haben gut reden, aber
wir gehören nicht dazu.
> Im Endeffekt reduziert sich doch die ganze Herumdiskutiererei
> auf eine einzige Frage: Verringert das jetzige US-Engagement
> das Risiko zukünftiger Terroranschläge?
Ich denke, es geht um mehr. Es geht um den Umgang zwischen den
Kulturen, um Fortschritt und Ausbeutung, um Mittelalter und HighTech,
Religiösität und Aufklärung, persönliche Freiheit und bestimmendes
Kollektiv, und natürlich, wie immer, um Verantwortung und Machtstreben,
Nachhaltigkeit und Gier, Toleranz und Hass. Ich glaube, wir stehen erst
am Anfang einer Entwicklung, die uns die nächsten Jahrzehnte noch viel
Kummer bereiten wird. Es wird mir möglicherweise noch mal in den Ohren
klingeln, aber ich sage, dass die 5000 toten Afghanen von heute am Ende
niemanden mehr interessieren. Wie diese Geschichte aus geht kann
niemand sagen. Hätte Gavrilo Princip geahnt, dass er einer Entwicklung
den Anstoss gab, die zig Millionen Tote fordern, die Welt komplett
umkrempeln und erst 75 Jahre später zu ihrem Abschluss kommen würde, er
hätte sich den Anschlag auf Franz Ferdinand vielleicht verkniffen.