Tloen schrieb am 16. April 2003 7:53
> Warum fällt es eigentlich so schwer über Systemvarianten zu sprechen?
> Cuba und die DDR sind bzw. waren unterschiedliche Ausprägungen des
> Sozialismus ( Kollektivierung der Produktionsmittel, kein Markt, auf
> dem die Preise durch Angebot und Nachfrage entstehen,
> gesamtwirtschaftliche Planung, kein Arbeitsmarkt ). Hingegen sind
> Schweden, Deutschland und die USA unterschiedliche Ausprägungen des
> Kapitalismus. In welchem Sinne man noch von "Volkswirtschaften" in
> sich auflösenden oder aufgelösten Staatswesen wie in Somalia,
> Afghanistan oder Nigeria sprechen kann, ist für mich eine offene
> Frage. Diesem Thema sollte vielleicht mehr Forschung als
> Betroffenheit und Abscheu gewidmet werden? Gibt es nicht auch eine
> ökonomische Struktur der Mafia, der Schwarzmärkte oder des crony
> capitalism, die sich jenseits des Kapitalismus und seiner rechtlichen
> Bindungen bewegen, die es zu untersuchen lohnt?
Wie du schon gesagt hast, wird man sich wohl doch nur ungern mit
einem Verlierer identifizieren wollen oder vielmehr nicht ein System,
das sich in der Theorie sehr nett anhört, diesen "schönen" Namen auch
weiter tragen lassen, wenn sich im Nachhinein sehr viele Fehler in
der Praxis eingeschlichen haben.
Was du sagst, dass man mehr Vielfalt und weichere grenzen den
systemen zugestehen sollte, klingt durchaus nachvollziehbar und
vernünftig, allerdings sollte man das dann auch deutlich machen und
nicht bei Systemen wie der DDR dann wirklich von einem Sozialismus
sprechen, weil man sonst sehr leicht auf die idee kommen könnte, es
wäre eine 1:1 Umsetzung gewesen. Wir sagen über Deutschland ja auch,
wir haben eine soziale Marktwirtschaft und keine reine.
> Inwieweit der Kapitalismus eine "unreife" Wirtschaftsform ist, vermag
> ich nicht zu sagen, da ich sein Gegenteil, d.h. ein ideales, "reifes"
> Wirtschaftssystem, dass auch mit der Wirlichkeit etwas zu tun hat,
> nicht zu definieren vermag. Sich auf spezifische seiner Probleme
> einzulassen, führt aber wieder nur dazu, dass man von Sozialisten als
> "systemkonform" oder "bürgerlich" beschimpft wird und dabei so hehre
> ökonomische Ziele wie die "Emanzipation des Menschen" und das "Ende
> seiner Ausbeutung" usw. hintertreibt. Dabei ist mir übrigens nicht
> bewusst, dass einmal der Versuch gemacht worden wäre "Ausbeutung" in
> Formen des positiven Rechtes zu fassen, so wie z.B. "Kinderarbeit"
> und dann vorgeschlagen worden wäre, sie zu verbieten. Ist es
> vielleicht doch möglich, dass sie eine subjektive Kategorie ist? Kann
> man von Angestellten, die 35h/Woche arbeiten, tatsächlich behaupten,
> sie würden ausgebeutet? Würden "Überstunden" den Straftatbestand der
> Ausbeutung erfüllen? Werden Japaner, die dem Gruppenzwang huldigen
> ausgebeutet, die Amerikaner mit ihrem Individualismus, ihrer aber
> ungefähr gleich hohen Arbeitsleistung, hingegen nicht?
...der Kapitalismus ist in meinen Augen schon eine sehr reife
Wirtschaftsform, vor allem sehr effizient... :-) Aber ich finde er
ist unpassend in Zussammenhang mit politischen Strukturen wie der
Demokratie, da der Kapitalismus meiner Meinung nach einen solche
deutlich, offensichtlich und vor allem immer stärker aushebeln kann.
Ich finde auf jedem Fall, dass man von Ausbeutung der Arbeiter reden
kann, wenn es Leute gibt, denen es derart drastisch besser geht als
der Masse und diese Kluft zu Gunsten der Wenigen auch noch weiter
aufreisst. Ausserdem sind die 35h Woche und Co. ja Errungenschaften
jahrelanger Kämpfe von Arbeitern, genauso wie die sozialen
Sicherungssysteme, über deren teilweise Auflösung jetzt bereits
wieder diskutiert wird. Es wird z.B. nicht diskutiert die Steuern
weltweit anzugleichen und den Besserverdienern auch besser in die
Tasche zu greifen oder dergleichen, was in Zeiten der Globalisierung,
wo Firmen ja immer gerade eine Aufhebung von wirtschaftlichen Grenzen
fordern, ja auch interessant wäre. Auch ist es wie gesagt
offensichtlich, dass mit zunehmender wirtschaftlicher Macht Weniger
versucht wird, die Masse möglichst politisch zu entmündigen.
Zumindest kommt es nicht von ungefähr, wenn die Leute immer mehr
glauben, dass sie mit ihrer stimme bei den Wahlen nichts ändern, weil
eh alle grossen Parteien alle möglichen "Bürgsachaften" gegenüber
Gönnern abzuleisten haben, seien es nun Gewerkschaften, die mir
allerdings etwas lieber sind ;-), oder Firmen.
Zukm Ausbeuten möchte ich noch sagen, dass es wahrscheinlich wirklich
subjektiv ist und jemand aus der Dritten Welt lieben gerne 35h pro
Woche für unseren Niedrigstlöhne arbeiten würde, weil er zu hause
nicht einmal täglich Brot hat. Aber Fakt ist doch, dass es Leute
gibt, die trotz weiterer sozialer Zugeständnisse und teilweise auch
Gehaltserhöhungen, die in den letzten Jahren auch sehr spärlich
ausfielen, vor allem unter Kohl, so viel Geld und andere materielle
Besitztümer angesammelt haben, dass sie gar nicht wissen wohin und es
verpulvern müssen, in dem sie z.B. ihren Katzen goldene Hütten bauen
lassen. Andererseits leben Millionen Menschen in Armut. Da die
Minderheiten offensichtlich nicht, trotz Zugeständnisse an die
Arbeiter, auf Luxus verzichten müssen, auch in "Krisenzeiten" nicht,
die anschienend eh nur für Arbeiter gelten, scheinen sie immernoch
mehr zu bekommen, als sie brauchen und da immer andere Menschen für
sie arbeiten, könnten sie denen auch mehr geben. Besonders krass wird
dieser Unterschied bei der Ausbeutung der dritten Welt, wo mit der
Tatsache des geringeren Lebensstandards auch die geringeren Löhne
gerechtfertigt werden, nur um hier möglichst billig verkaufen zu
könnne. So gesehen beuten natürlich auch Arbeiter aus den "reichen"
Ländern die aus armen Ländern aus.
> Kann es nicht sein, dass die Qualität des Wirtschaftslebens gar nicht
> primär vom Wirtschaftssystem abhängt, sondern davon, wie es umgesetzt
> wird, wie elastisch es auf innere und äussere Störungen reagiert,
> über welche Leute es verfügt, welche Eigenschaften es fordert, wie
> diese in der arbeitenden Bevölkerung verteilt sind, in welcher Kultur
> es existiert und wie leicht/schwer es der Kultur fällt, mit ihm
> umzugehen?
...da ist was dran, aber wie gesagt sehe ich das Problem, das die
schier grenzenlose Gier nach mehr alle Belange unserer Gesellschaft
betrifft und diese systematisch vom Kapitalismus zerstört werden. Man
schaue sich nur einmal den Verfall in der Musik an, wie nur noch
Kommerz produziert wird. Man könnte natürlich argumentieren, dass
sich der Musikgeschmack der Jugend immer wandelt und die
Genrationssprünge vielleicht einfach grösser werden, aber ich glaube,
dass es geschafft wurde, sich zum Teil eine pur konsumierende
Generation ohne jeden Anspruch heranzuzüchten. Auch das
Fernsehprogramm belegt dies eindeutig, da sich das Angebot auch immer
an der Nachfrage orientiert.
> Warum fällt es eigentlich so schwer über Systemvarianten zu sprechen?
> Cuba und die DDR sind bzw. waren unterschiedliche Ausprägungen des
> Sozialismus ( Kollektivierung der Produktionsmittel, kein Markt, auf
> dem die Preise durch Angebot und Nachfrage entstehen,
> gesamtwirtschaftliche Planung, kein Arbeitsmarkt ). Hingegen sind
> Schweden, Deutschland und die USA unterschiedliche Ausprägungen des
> Kapitalismus. In welchem Sinne man noch von "Volkswirtschaften" in
> sich auflösenden oder aufgelösten Staatswesen wie in Somalia,
> Afghanistan oder Nigeria sprechen kann, ist für mich eine offene
> Frage. Diesem Thema sollte vielleicht mehr Forschung als
> Betroffenheit und Abscheu gewidmet werden? Gibt es nicht auch eine
> ökonomische Struktur der Mafia, der Schwarzmärkte oder des crony
> capitalism, die sich jenseits des Kapitalismus und seiner rechtlichen
> Bindungen bewegen, die es zu untersuchen lohnt?
Wie du schon gesagt hast, wird man sich wohl doch nur ungern mit
einem Verlierer identifizieren wollen oder vielmehr nicht ein System,
das sich in der Theorie sehr nett anhört, diesen "schönen" Namen auch
weiter tragen lassen, wenn sich im Nachhinein sehr viele Fehler in
der Praxis eingeschlichen haben.
Was du sagst, dass man mehr Vielfalt und weichere grenzen den
systemen zugestehen sollte, klingt durchaus nachvollziehbar und
vernünftig, allerdings sollte man das dann auch deutlich machen und
nicht bei Systemen wie der DDR dann wirklich von einem Sozialismus
sprechen, weil man sonst sehr leicht auf die idee kommen könnte, es
wäre eine 1:1 Umsetzung gewesen. Wir sagen über Deutschland ja auch,
wir haben eine soziale Marktwirtschaft und keine reine.
> Inwieweit der Kapitalismus eine "unreife" Wirtschaftsform ist, vermag
> ich nicht zu sagen, da ich sein Gegenteil, d.h. ein ideales, "reifes"
> Wirtschaftssystem, dass auch mit der Wirlichkeit etwas zu tun hat,
> nicht zu definieren vermag. Sich auf spezifische seiner Probleme
> einzulassen, führt aber wieder nur dazu, dass man von Sozialisten als
> "systemkonform" oder "bürgerlich" beschimpft wird und dabei so hehre
> ökonomische Ziele wie die "Emanzipation des Menschen" und das "Ende
> seiner Ausbeutung" usw. hintertreibt. Dabei ist mir übrigens nicht
> bewusst, dass einmal der Versuch gemacht worden wäre "Ausbeutung" in
> Formen des positiven Rechtes zu fassen, so wie z.B. "Kinderarbeit"
> und dann vorgeschlagen worden wäre, sie zu verbieten. Ist es
> vielleicht doch möglich, dass sie eine subjektive Kategorie ist? Kann
> man von Angestellten, die 35h/Woche arbeiten, tatsächlich behaupten,
> sie würden ausgebeutet? Würden "Überstunden" den Straftatbestand der
> Ausbeutung erfüllen? Werden Japaner, die dem Gruppenzwang huldigen
> ausgebeutet, die Amerikaner mit ihrem Individualismus, ihrer aber
> ungefähr gleich hohen Arbeitsleistung, hingegen nicht?
...der Kapitalismus ist in meinen Augen schon eine sehr reife
Wirtschaftsform, vor allem sehr effizient... :-) Aber ich finde er
ist unpassend in Zussammenhang mit politischen Strukturen wie der
Demokratie, da der Kapitalismus meiner Meinung nach einen solche
deutlich, offensichtlich und vor allem immer stärker aushebeln kann.
Ich finde auf jedem Fall, dass man von Ausbeutung der Arbeiter reden
kann, wenn es Leute gibt, denen es derart drastisch besser geht als
der Masse und diese Kluft zu Gunsten der Wenigen auch noch weiter
aufreisst. Ausserdem sind die 35h Woche und Co. ja Errungenschaften
jahrelanger Kämpfe von Arbeitern, genauso wie die sozialen
Sicherungssysteme, über deren teilweise Auflösung jetzt bereits
wieder diskutiert wird. Es wird z.B. nicht diskutiert die Steuern
weltweit anzugleichen und den Besserverdienern auch besser in die
Tasche zu greifen oder dergleichen, was in Zeiten der Globalisierung,
wo Firmen ja immer gerade eine Aufhebung von wirtschaftlichen Grenzen
fordern, ja auch interessant wäre. Auch ist es wie gesagt
offensichtlich, dass mit zunehmender wirtschaftlicher Macht Weniger
versucht wird, die Masse möglichst politisch zu entmündigen.
Zumindest kommt es nicht von ungefähr, wenn die Leute immer mehr
glauben, dass sie mit ihrer stimme bei den Wahlen nichts ändern, weil
eh alle grossen Parteien alle möglichen "Bürgsachaften" gegenüber
Gönnern abzuleisten haben, seien es nun Gewerkschaften, die mir
allerdings etwas lieber sind ;-), oder Firmen.
Zukm Ausbeuten möchte ich noch sagen, dass es wahrscheinlich wirklich
subjektiv ist und jemand aus der Dritten Welt lieben gerne 35h pro
Woche für unseren Niedrigstlöhne arbeiten würde, weil er zu hause
nicht einmal täglich Brot hat. Aber Fakt ist doch, dass es Leute
gibt, die trotz weiterer sozialer Zugeständnisse und teilweise auch
Gehaltserhöhungen, die in den letzten Jahren auch sehr spärlich
ausfielen, vor allem unter Kohl, so viel Geld und andere materielle
Besitztümer angesammelt haben, dass sie gar nicht wissen wohin und es
verpulvern müssen, in dem sie z.B. ihren Katzen goldene Hütten bauen
lassen. Andererseits leben Millionen Menschen in Armut. Da die
Minderheiten offensichtlich nicht, trotz Zugeständnisse an die
Arbeiter, auf Luxus verzichten müssen, auch in "Krisenzeiten" nicht,
die anschienend eh nur für Arbeiter gelten, scheinen sie immernoch
mehr zu bekommen, als sie brauchen und da immer andere Menschen für
sie arbeiten, könnten sie denen auch mehr geben. Besonders krass wird
dieser Unterschied bei der Ausbeutung der dritten Welt, wo mit der
Tatsache des geringeren Lebensstandards auch die geringeren Löhne
gerechtfertigt werden, nur um hier möglichst billig verkaufen zu
könnne. So gesehen beuten natürlich auch Arbeiter aus den "reichen"
Ländern die aus armen Ländern aus.
> Kann es nicht sein, dass die Qualität des Wirtschaftslebens gar nicht
> primär vom Wirtschaftssystem abhängt, sondern davon, wie es umgesetzt
> wird, wie elastisch es auf innere und äussere Störungen reagiert,
> über welche Leute es verfügt, welche Eigenschaften es fordert, wie
> diese in der arbeitenden Bevölkerung verteilt sind, in welcher Kultur
> es existiert und wie leicht/schwer es der Kultur fällt, mit ihm
> umzugehen?
...da ist was dran, aber wie gesagt sehe ich das Problem, das die
schier grenzenlose Gier nach mehr alle Belange unserer Gesellschaft
betrifft und diese systematisch vom Kapitalismus zerstört werden. Man
schaue sich nur einmal den Verfall in der Musik an, wie nur noch
Kommerz produziert wird. Man könnte natürlich argumentieren, dass
sich der Musikgeschmack der Jugend immer wandelt und die
Genrationssprünge vielleicht einfach grösser werden, aber ich glaube,
dass es geschafft wurde, sich zum Teil eine pur konsumierende
Generation ohne jeden Anspruch heranzuzüchten. Auch das
Fernsehprogramm belegt dies eindeutig, da sich das Angebot auch immer
an der Nachfrage orientiert.