Mit der hier vorgetragenen Piaget-Interpretation gibt es zwei Probleme, auf die ich den Autor aufmerksam machen will. Das erste besteht darin, dass er eine Übersetzung als Basis verwendet hat. Nun weiss ich in diesem Fall aus eigner Anschauung sicher, dass die auf dem Markt befindlichen deutschen Übersetzungen der französischen Originaltexte von Piagets Werken grottenschlecht sind, z. T. entsetzlich ungenau oder sogar irreführend. Kurz, man kann sich auf sie absolut nicht verlassen.
Das zweite Problem könnte vom ersten abhängig sein. Jedenfalls ist Piaget definitiv nicht der Akkomodator bzw. oder Legitimator der Akkomodation an die herrschenden Verhältnisse, als der er hier erscheint. Er selbst war das lebende Gegenexempel. Die Gleichsetzung von 'Schularbeit' und 'beruflicher Arbeit' in den Ausführungen Piagets mit bürgerlicher Schule - das nun schon gar nicht, Piaget war Zeit seines Lebens Anhänger und Förderer einer Form antiautoritärer Reformpädagogik - bzw. kapitalistischer Erwerbsarbeit ist kurzschlüssig. Wenn Piaget von beruflicher Arbeit redet, denkt er an die schaffende Tätigkeit eines Erwachsenen im Sinne eines Ausgebildeten, ganz unabhängig vom gerade vorherrschenden ökonomischen Paradigma. Piaget denkt in Kategorien der conditio humana. Entsprechend steht auch das 'Vaterland' nicht für die Nation, sondern stellvertretend für das übergeordnete Kollektiv, eine soziale Einbettung, die der reife Mensch benötigt, nicht zwingend die bürgerliche Variante davon.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (26.02.2021 20:06).