Beim Brexit geht es um einen grundlegenden Strategiekonflikt. Wie soll Kapitalverwertung in Europa angesichts anwachsender Krisenerscheinungen im globalen Konkurrenzkampf um eben diese Kapitalverwertung organisiert werden? Staatlich-national oder überstaatlich-supranational?
Die zweitgrößte Volkswirtschaft (GB), gemessen in BIP, hat mit dem Brexit entschieden, dass die Organisation der Kapitalverwertung auf der Basis staatlicher Souveränität für GB wieder einzelstaatlich und nicht im Rahmen der EU erfolgen soll. Dabei verfolgt GB (momentan repräsentiert durch Th. May) die offensiv-aggressive Strategie, durch Handelsabkommen mit der EU alle Vorteile des völlig freien Warenverkehrs (Freihandel) weiter genießen zu können (wie als vorheriges EU-Mitglied), ohne als Nettozahler weiterhin mehr in die "Töpfe" der EU einzahlen zu müssen, als aus diesen "Töpfen" an GB fließt und außerdem die Verträge, die GB als EU-Mitglied unterschrieben hat, nicht einhalten zu müssen, also sämtliche Zahlungen, zu denen sich GB verpflichtet hat, nicht leisten zu müssen, gleichzeitig aber die Staatsgrenzen gegenüber EU-Bürgern und v.a. Flüchtlingen nahezu dichtmachen zu können.
Die EU, erst einmal durch den Brexit prinzipiell im globalen Konkurrenzkampf mit Nordamerika und Asien (v.a. China) geschwächt, verfolgt unter Führung der größten Volkswirtschaft (Deutschland) und eingeschränkt der drittgrößten Volkswirtschaft (Frankreich) die Strategie, die Kapitalverwertung weiterhin supranational (EU) zu organisieren. Dementsprechend verfolgt v.a. Deutschland als Hauptnutznießer der EU-Verträge (Deutschland = Exportnation) die Strategie, den Brexit so teuer wie möglich ausfallen zu lassen, also erst einmal sämtliche vertraglich abgemachten Beiträge der Briten einzufordern und die Verhandlungen über Freihandel mit dem aus der EU ausgetretenen GB hintanzustellen und damit auch die Option zu haben, den freien Verkehr von Kapital, Waren und Arbeitskräften GB nur unter noch nicht geklärten Auflagen zu gewähren.
Grundlage dieses strategischen Konflikts sind die in sich widersprüchlichen Verhältnisse globaler Kapitalverwertung unter folgenden Bedingungen:
- tendenziell sinkende durchschnittliche Gesamtweltprofitrate bei fortwährender Profitsteigerungsmöglichkeit einzelner Unternehmen (v.a. transnationaler Konzerne) und nationaler Volkswirtschaften (zum Nachteil anderer Konzerne/Unternehmen und Staaten)
- tendenziell steigende weltweite Arbeitslosigkeit bei fortwährender Möglichkeit einzelner Gewinnerstaaten, die Arbeitslosigkeit relativ gering zu halten (allerdings meist auf der Grundlage von Niedriglöhnen, befristeten Arbeitsverträgen, Minijobs usw.)
- exorbitante Verschuldung von Privatpersonen, Unternehmen und Staaten, deren Tilgung aufs Ganze betrachtet nicht mehr möglich ist, aber den Gewinnern unter den Verschuldeten die Bonität bzgl. günstiger Kredite vorläufig erhält (während andere Regionen, Staaten und damit riesige Bevölkerungsmengen trotz einiger zwischenzeitlicher Erfolge in der Armutsbekämpfung schrittweise im Elend versinken, weil ihre Bonität auf Ramsch gesetzt wird)
- Verschärfung der globalen Konkurrenz durch die 3. industriell-technische Revolution (Mikrochip) und der darauf aufbauenden Industrie 4.0, Arbeit 4.0 usw.
Für die "Deutschland-EU" ist es absolut zentral, die wirtschaftlich-sozial nicht zuletzt wegen der aggressiven Exportorientierung deutscher Unternehmen hoch verschuldeten Krisenstaaten der EU (v.a. im Süden der EU), die ohnehin schwach aufgestellten EU-Staaten (v.a. osteuropäische Staaten), die noch einigermaßen funktionierenden Volkswirtschaften der Mittelländer (wie BeNeLux und skandinavische Staaten) und v.a. die schwächelnden großen Volkswirtschaften (Frankreich/3. gemäß BIP und Italien/4. gemäß BIP) im Boot zu halten, also die global orientierte Konkurrenzposition der supranationalen EU aufrechtzuerhalten und jeden Dominoeffekt (= weitere Austritte aus der EU) zu verhindern.
Welche Strategie, ob die auf nationalstaatlicher Souveränität aufbauende oder die supranationale letztlich erfolgreicher darin sein wird, in den kommenden Jahren/Jahrzehnten nicht zu den Verlierern des global verschärften und in sich widersprüchlichen Konkurrenzkampfes zu werden, sondern nach wie vor zu den Gewinnern zu gehören, ist entgegen zahlreicher wohlfeiler Meinungen von Wirtschaftswissenschaftlern, Journalisten und Politikern keinesfalls klar.
Sicher ist nur, dass dieser Strategiekonflikt, der sich aktuell in "America First" statt TTIP oder Brexit statt vertiefter ökonomischer EU-Integration ausdrückt, den ohnehin "mörderischen" globalen Konkurrenzkampf anheizen wird. Der längst tosende "Wirtschaftskrieg" wird (zumindest partiell) in politisch-militärische Konflikte übergehen.
Weltweite Aufrüstung und die Reaktivierung der Planungen für ein supranationales EU-Militär sind dafür Hinweis genug.
Die wachsende Anzahl von Psycho- und Soziopathen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen (weltweit) sowie die zunehmende Aushöhlung zumindest teilweise vorhandener demokratischer Errungenschaften und die Etablierung autoritär-diktatorischer staatlicher Herrschaftskonstruktionen (ebenfalls weltweit) sind Begleiterscheinungen der immer radikaler werdenden globalen Konkurrenz um Profite, Ressourcen, Macht- und Einflussgebiete.
Die Weltlage ist gefährlich - noch nicht für alle, aber für Massen von Menschen, die ohne Einfluss auf diese Prozesse sich diesen unterwerfen (müssen?).