Zunächst einmal sollte man durchaus würdigen, dass es verschiedene Menschen mit verschiedenen Ansichten und verschieden hohen Graden von Angst gibt, was das Risiko für einen WK3 betrifft.
Es gibt einerseits Menschen, die die Waffenlieferungen an die Ukraine als bedrohlich erleben, weil Sie annehmen, dass dies das Risiko für einen WK3 erhöhen würde. Diesen Gedanken an einen drohenden WK3 empfinden sie als unangenehm und äußern sich demzufolge dahingehend, dass sie Aktionen befürworten, die aus Ihrer Sicht das Risiko für einen WK3 wieder senken könnten.
Im Besonderen heißt das: Keine militärische oder sonstige Hilfe an die Ukraine, die es den Menschen dort ermöglichen würde, sich gegen die russische Invasion und Vernichtung zu wehren.
Andererseits gibt es mindestens ebenso viele Menschen, die eine andere Haltung haben: Diese Menschen halten das Risiko für ein WK3 sogar noch für höher, wenn Russlands Invasion erfolgreich und ungehindert verliefe. Denn das wäre dann der Präzedenzfall, an dem sich Russland, China, und andere autokratische Mächte orientieren würden und Stück für Stück andere Länder annektieren würden, denn es wurde ja der Beweis erbracht, dass der Westen dagegen ohnehin nichts unternimmt.
Nun lassen Sie mal China Taiwan überfallen oder lassen Sie mal Putin Moldawien überfallen oder einen Bürgerkrieg im Baltikum anzetteln, der zu einem "Donbass-Szenario" führt und am Ende ein knüppeldicker Bürgerkrieg entsteht, an dessen Ende dann Russland Teile Litauens, Estlands etc. annektiert.
Der Gedankengang ist im Prinzip nachvollziehbar und entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität: Ermutigt man (durch eine schulterzuckende Haltung bezüglich der Ukraine) Putin und andere Autokraten, sich ungestraft und ungehindert alles Land zu nehmen, das ihnen beliebt, dann wird es nicht lange dauern, bis sich zumindest die atomar bewaffneten Autokratien dann auch genau das alles nehmen werden.
Die erste - nennen wir sie mal "vorsichtige" - Gruppe handelt eher defensiv-passiv, aus der lebenspraktischen Beobachtung heraus, dass ein Schlag zu einem härteren Gegenschlag führen kann etc. ("Eskalationsspirale").
Die zweite Gruppe hingegen handelt proaktiv und nimmt auch gewisse Risiken in Kauf, wenn sie diese als geringer einschätzt als das Übel, welches entstehen würde, wenn man nicht aktiv gegen einen Aggressor vorginge und aus der lebenspraktischen Erfahrung heraus, dass ein ausreichend kräftiger Schlag gegen einen Angreifer diesen zum Aufhören animieren kann.
Quintessenziell berufen sich beide Gruppen auf durchaus nachvollziehbare im im Kern wahre Argumente und kommen dennoch zu grundverschiedenen Schlüssen.
Damit wären wir bei der Frage angelangt, wie hoch das Risiko für einen (atomaren) WK3 denn überhaupt einzuschätzen ist.
Zu 100% ausschließen oder garantieren kann man hier naturgemäß nichts - aber es kann einem auch niemand garantieren, dass einem kein Blumenkübel auf den Kopf fällt oder man nicht überfallen wird, wenn man aus dem Haus geht - und trotzdem geht man i.d.R. täglich ein- bis mehrfach aus dem Haus.
Eines ist sich recht sicher: sollte Russland (kleine) taktische Atombomben einsetzen, würde dies nach Einschätzung aller Analysten dazu führen, dass China und Indien sich von Russland abwenden würden. Damit würde Russland endgültig zum Paria und wirtschaftlich ginge es dann sehr schnell und sehr steil bergab.
Die USA haben für diesen Fall bereits verheerende konventionelle Gegenschläge angedroht (Vernichtung der russ. Schwarzmeerflotte).
In Summe würden die Nachteile eines Atomeinsatzes dessen Vorteile so außerordentlich stark überwiegen, dass es sehr abwegig und irrational erschiene, dass Russland jemals diesen Schritt gehen würde - und zwar unabhängig ob und wieviele Panzer, Raketenwerfer etc. an die Ukraine geliefert würde.
Innerhalb dieses Frameworks erschiene das WK3-Risiko unter die Kategorie "Allgemeines Lebensrisiko" zu fallen, welches weder durch Panzer, noch durch HIMARS, noch durch Caeser, etc. sich qualitativ ändern würde.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (26.01.2023 09:50).