Vorneweg: Chomskys Aussagen zu den Kriegsverbrechern Henry Kissinger, George W. Bush und Anderen stimme ich ausdrücklich zu. Es gibt keinen Grund, an diese Kriegsverbrecher aus den USA ein anderes Maß anzulegen als an die Kriegsverbrecher, die im Kreml sitzen.
Allerdings werden in seinen Interview-Aussagen auch zwei fundamentale Denkfehler sichtbar:
1. Die Diplomatie als (derzeit) einzigen Ausweg: Ob es zu einer diplomatischen Lösung kommen kann, hängt zuallererst davon ab, ob und unter welchen Bedingungen die Kremlkiller überhaupt zu einer solchen Lösung willens und bereit sind.
Wenn er schon das Beispiel Vietnam/Kambodscha auf der Gegenseite bemüht: So lange ein General Westmoreland noch davon überzeugt war, den Vietnamkrieg irgendwie gewinnen zu können, hätten die Nordvietnamesen und ihre Verbündeten bei den USA mit dem Wunsch nach Diplomatie auf Granit gebissen. Erst in dem Augenblick, als sich die Waage zugunsten Nordvietnams zu neigen begann und die Verluste zu einer Erosion der Unterstützung aus der Heimat führten, waren die USA bereit, mit den Nordvietnamesen zu verhandeln.
Das kann man so 1:1 auf den Krieg Russlands in der Ukraine übertragen: Die Kremlkiller sind nach wie vor davon überzeugt, dass sie den Krieg irgendwie gewinnen können. Solange sie ihr Minimalziel noch erreichen können und die Unterstützung durch die russische Bevölkerung nicht ernsthaft zu bröckeln beginnt, werden sie Diplomatie allenfalls im Sinne einer Hinhaltetaktik nutzen und damit ist Diplomatie im Augenblick aussichtslos.
2. Dass sich Russland einerseits als Papiertiger herausgestellt hat und andererseits Schweden bzw. Finnland trotzdem den Schutz vor Russland unter dem Schirm der NATO suchen ist absolut kein Widerspruch. Denn es hat sich ja gezeigt, dass in Russland allein der Glaube daran, einen Gegner, der keinen Anspruch auf den Schutz durch die NATO hat, unter vertretbaren Verlusten besiegen zu können, für die Entscheidung zum Überfall völlig ausgereicht hat.
Außerdem muss man auch noch etwas zur Fehleinschätzung sagen, dass der US-Einmarsch in Afghanistan "eine Invasion ohne irgendeine Provokation" gewesen sei. Dass al-Qaida - das waren die, die 9/11 veranstaltet haben - in Afghanistan eine wichtige Operationsbasis gehabt hat, hat er wohl nicht zur Kenntnis genommen oder vergessen. Oder er hat Afghanistan mit Irak verwechselt; das war wirklich eine Invasion ohne Anlass. Wird halt auch nicht jünger, der Herr Chomsky.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.06.2022 14:59).