Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen kann ich dem Artikel nicht zustimmen. Industriezucker, vor allem in Kombination mit Fett und Aromen, wirkt zumindest auf manche von uns wie eine mittelstark suchterzeugende Droge und sollte entsprechend betrachtet und behandelt werden. Ich stimme nur insofern zu, als dass eine Besteuerung für die Betroffenen überhaupt nichts bringen kann. Es wird einfach nur teurer und stigmatisierender.
Sicher muss aber auch berücksichtigt werden, in welchen Lebensmittelkombinationen diese Eigenschaft besonders gefördert wird. So hatte ich nie Verlangen nach süßem Obst oder purem Zucker. Da gibt es augenscheinlich gewisse Parallelen zu Nikotin in Tabak.
Hier meine Geschichte. Sprechen kann ich darüber erst jetzt, weil ich diesen Teufelskreis durchbrechen konnte und mich diese Sucht nicht mehr plagt.
Ich habe Zuckerprodukte (sprich Süßigkeiten) über zwei Jahrzehnte in viel zu großen Mengen konsumiert. Erst in den letzten Jahren ist mir allerdings klar geworden, wie typisch mein Umgang damit für eine Abhängigkeit ist und wie sehr ich mir selbst schade.
Schon als Jugendlicher habe ich nachts immer wieder mal, wenn ich selbst nichts da hatte, Tiefkühltorten aus der Gefriertruhe meiner Mutter geklaut und diese dann halb gefroren verspeist. Ich habe davon immer am Stück so viel rein gewürgt, wie irgendwie ging, also bis zur Brechgrenze. Diese Bechgrenze ist mir über die Jahre übrigens sehr vertraut geworden. Da ganze Torten recht lange brauchen, bis sie aufgetaut sind, habe ich sie halb gefroren verspeist.
Aus Scham habe ich dann heimlich Torten nachgekauft. Ist natürlich trotzdem häufig aufgeflogen, weil es exakt diese Sorte nicht gab oder weil ich zu langsam oder zu geizig war (große Torten sind ganz schön teuer^^).
Immer wieder, wenn ich mir Frühstücksbrötchen kaufen wollte, habe ich das als Vorwand benutzt, möglichst viel Süßgebäck dazu zu packen. Natürlich habe ich dann nicht die Brötchen, sondern die Zuckerteile gefrühstückt. Wenn der Heißhunger besonders schlimm war, habe ich auch einfach mal eine Zitronen- oder Erdbeerrolle am Stück und direkt aus der Hand gegessen. Häufig schon auf dem Heimweg. Konnte nicht warten. Die Weihnachtszeit war auch immer sehr willkommen. Marzipanstollen, Lebkuchen, Spekulatius - alles schön große Mengen und billig.
Später dann, mit eigener Wohnung, habe ich Einkäufe hauptsächlich als Vorwand benutzt, um an Süßigkeiten zu kommen. Es kam mir nicht so sehr darauf an, wie lecker etwas war, sondern dass es in großen Gebinden erhältlich war. Also lieber eine 300g Milka in einer eher weniger schmackhaften Sorte, als eine leckere 100g Tafel. Auch Haribo Konfekt war immer sehr willkommen. Schön große Tüten mit über 300g Inhalt.
Häufig habe ich so viele Süßigkeiten gekauft, dass es mir zu peinlich war, alles aus einem Geschäft zu beziehen. Hab das dann gerne auf zwei Geschäfte verteilt und die Orte von Zeit zu Zeit gewechselt. Aus dem gleichen Grund habe ich große, schwere Gebinde bevorzugt.
Nach den Einkäufen habe ich mich dann ein oder zwei Tage nur von den Süßigkeiten ernährt, bis diese alle waren und ich auf die "normalen" Lebensmittel zurück greifen musste (wie normal sind Fertiggericht?). Der Tag nachdem der Vorrat zur Neige ging, war dann immer sehr unangenehm. Bin da immer kaum auf die Beine gekommen. Ein Katertag quasi.
Immer wieder habe ich erfolglos versucht, dieser Sucht zu entkommen. Wenn ich bei einem Einkauf mal stark geblieben war und wenig oder gar nichts Süßes kaufte, dann habe ich das häufig kurz danach bereut. Das ging dann so weit, dass ich mir abends nach Ladenschluss eine möglichst billige Pizza bestellte, um einen Pott Ben & Jerry's kaufen zu können. Bei anderen Gelegenheiten habe ich nachts, wenn der Drang zu stark wurde, für abartig viel Geld bei Nachtlieferdiensten für Lebensmittel Süßigkeiten bestellt. Da waren dann auch völlig unnötige Sachen dabei, um den Schein zu wahren.
Oder ich bin Sonntags zur Tanke gefahren, um mir eine Packung ekelhafter Gebäckmischungen zu kaufen. Hauptsache viel, Hauptsache süß. Und wenn es völlig überflüssige 20 Euro kostete, egal. Das Verlangen musste gestillt werden.
In Gesellschaft habe ich mich zur Mäßigung gezwungen, was häufig nicht leicht war. Erst wenn die Anderen im Bett waren, habe ich mir meine eigentliche Portion aus dem Schrank geholt. Die Überreste habe ich dann verschwinden lassen, damit es nicht so auffiel.
Irgendwann, mit Mitte dreißig hat mein Körper mir immer deutlicher gezeigt, dass es so nicht weiter gehen kann. Schleichend bis zu 20kg Übergewicht, Sodbrennen, Magen- und Darmkrämpfe, Durchfall, Hämorrhoiden, Bluthochdruck und Herzklopfen, Kopfschmerzen waren an der Tagesordnung. Meine Blutwerte waren denkbar schlecht.
Seit etwa einen dreiviertel Jahr habe ich meine Ernährung umgestellt. Keine Fertiggerichte mehr sondern Vollkornmüsli, Wocheneinkauf, fast jeden Abend selbstgemachte Pizza aus dem Pizzaofen (perfekt portionierbar und hoch wirksam gegen Heißhunger). Süßigkeiten konnte ich so ins Wochenende verbannen. Irgendwann habe ich die dann auch ganz weg lassen können. Seit vier Monaten esse ich also gar keine Süßigkeiten mehr. Aber leicht ist mir das nicht gefallen. Hätte mich jemand vor einem Jahr danach gefragt, hätte ich das für unmöglich gehalten. Mein Körper ist seit dem kaum wieder zu erkennen. Das Übergewicht ist komplett weg und auch die restlichen Beschwerden treten gar nicht mehr oder nur noch selten auf.
Klar, Menschen die davon nicht betroffen sind, schütteln vielleicht nur den Kopf, können das nicht nachvollziehen oder halten das hier für einen schlechten Scherz.
Es gibt aber sicher auch solche, die sehr gut wissen, wovon ich hier berichtet habe. Zucker ist in bestimmten Kombinationen eine Droge und zwar eine halbwegs gefährliche, die die Abhängigen zu typischen Handlungen treibt. Lügen und vertuschen, Scham, vereinnahmend, krankmachend. Und ich bin mir halbwegs sicher, dass die Produzenten solcher Produkte das auch sehr genau wissen.