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  • Raumflieger

421 Beiträge seit 12.08.2024

Demokratie kann nicht TINA sein.

Demokratie lebt vom mündigen Bürger und der politischen Debatte. Beides ist aber in Deutschland nicht mehr garantiert! Der mündige Bürger wählt "seine" Partei nach Parteiprogramm und Entscheidungen in der Vergangenheit, d.h. ist auch bereit zum Wechsel, wenn seine Stammpartei nicht mehr Politik macht, die er vertreten kann. Ein Pazifist, der also vor vielen Jahren Heimat gefunden haben mag bei den Grünen, kann eben seit der Schröder'schen Rot-Grünen Regierung nicht mehr guten Gewissens sein Kreuz bei den Grünen machen, eben WEIL diese Partei nicht mehr pazifistisch ist.
Das zieht sich auch quer durch den Gemüsegarten bei praktisch allen Parteien. Nur die ganz Harten bleiben noch Stammwähler, egal, wie gegensätzlich vielleicht deren Ansichten zu denen der Parteispitze sein mögen.

Damit es eine politische Debatte gibt, müssten eigentlich auch verschiedene Ansätze für die Problemlösung diskutiert werden. Und genaugenommen beginnt es sogar bei der "Problemdefinition": nicht alles, was heute debattiert wird, ist ein Problem, über das sich debattieren lohnt (z.B. Sprachgendern). Manches Problem wird also künstlich erzeugt um darüber leidenschaftlich debattieren zu können, nur um sich dann daraus ein "TINA"-Problem zu machen, für das es gar keine andere Lösung gäbe als die präsentierte.
Aber auch real existierende Probleme werden eben mit einer "alternativlosen Lösung" abgetan. Das Klima verändert sich, also müssen wir das Klima schützen. Die Alternative, dass man etwa nur einen geringen bis gar keinen Einfluss auf den Kurs der Klimaveränderung nehmen kann, wird nicht debattiert. Denn dann käme man womöglich gar auf die Idee, dass die milliardenschwere Klimaschutzbranche das Geld nicht wert wäre, was man der Bevölkerung aus der Tasche zieht.
Von der paradoxen Politik, Klimaschutz und Kriegsteilhabe unter einen Hut bringen zu wollen, fange ich gar nicht erst an - die Debatte dazu steht an, wird aber bewusst nicht zugelassen. Sonst käme man gar auf die Idee, beides sei unredlich.

Zum eigentlichen Thema:
Die FDP sind nicht die "besseren Grünen" - und sollen das auch gar nicht sein. Die Grünen sind tatsächlich eine FDP mit grünem Anstrich: eine reine Klientelpartei für die Besserverdienenden, die sich "kümmern wollen". Freilich natürlich immer außerhalb der eigenen Wohlfühlblase. Die Zeche zahlen die Gering(st)verdiener und regulären Einkommensschichten, die sich eigentlich die Teuerpolitik für Klima, Krieg & co nicht leisten können, aber generell nicht gefragt werden und die auch keinerlei Lobby haben im Bundestag. Entsprechend werden die Lasten sehr einseitig verteilt: relativ betrachtet zahlen die geringeren Einkommensschichten den größten Anteil.

Nun vertreten die Grünen aber nur den "grünen" Anteil der Mittel- und Oberschicht, die FDP hat indes den Kontakt zu ihrem Klientel gänzlich verloren. Sie ist schlichtweg nicht in der Lage, Akzente zu setzen in der Ampelregierung. Im Grunde sind sie nur Mehrheitsbeschaffer im Parlament, müssen alles abnicken und können den Kurs nicht im Mindesten beeinflussen, so sie nicht Opposition innerhalb der Regierungsfraktion werden wollen. Die Unfähigkeit, nach bestem Wissen und Gewissen abzustimmen und die Interessen des sie wählenden Klientels zu vertreten, macht die FDP aber effektiv obsolet. Das gleiche Spiel effektiv mit der SPD. Im Grunde ist der Koalitionssenior nicht die SPD, die zwar den Kanzler stellt, sondern die Grünen, die auch die politisch wichtigen Ministerposten wie Außenministerium und Wirtschaftsministerium stellen. Tatsächlich hätte, rein aus historischer Sicht heraus, das Wirtschaftsministerium entweder an die FDP oder SPD gehen müssen, das Außenministerium klar an die FDP. Hätte die FDP das Wirtschaftsministerium zusammen mit dem Finanzministerium erhalten, hätte es der Partei Gelegenheit gegeben, sich klar zu profilieren und den Grünen Absage für ihre Maximalforderungen geben können. Damit wäre die FDP aber tatsächlich eine FDP gewesen und keine "besseren Grünen".

Die Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern sind aus Sicht der FDP eher uninteressant: die Partei hat dort schon immer einen schweren Stand aufgrund des fehlenden Klientels. Es gibt auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer im Osten einfach keinen nennenswerten Mittelstand. Wer soll dann die FDP wählen wollen? Wenn also hier die Partei in die Bedeutungslosigkeit "fällt", dann aus sehr niedrigem Niveau. Ein Aufklatscher tut nicht weh, wenn man 50cm tief fällt. So gesehen kann die FDP den Osten abschreiben und sollte sich lieber dort positionieren, wo sie ihre Hochburgen hat: in den westlichen Bundesländern mit breitem Mittelstand.

Dort wiederum müsste die FDP aber beweisen, dass sie in deren Interesse handelt. Mittelstand? Das ist breit gefächert und beginnt nicht erst bei Konzernen wie Daimler-Benz oder BMW. Da gehören auch schon kleinere Firmen dazu, die u.a. Lieferanten sind für Liebherr, Iveco, MAN & co. Die "hidden Champions", kleinere Unternehmen, die aber weltmarktführende Produkte anbieten, gehören genauso dazu, wie bekannte Marken mittelständischer Unternehmer, etwa Trigema. Warum nochmal sollen die FDP wählen, wenn die FDP versäumt, deren Interessen wahrzunehmen? Und die Chancen hätten sie gehabt. Das unsägliche Verbrenner-Verbot hat für Unruhe bei den Automobilherstellern gesorgt. Auch die Flottengrenzwerte sind effektiv Unsinn, man hätte politisch durchaus was drehen können. Wieso es eine Mehrheit dafür in der EU gibt (siehe "Green Deal"), kann ich mir schon nicht vorstellen. Warum der größte EU-Nettozahler sich nicht entsprechende Rechte sichert, nach eigenem Tempo die Flottengrenzwerte anzupassen, ist für mich nicht erklärbar. Spielraum hätte es gegeben, man scheut aber den Konflikt. Ergebnis ist TINA von außen. Wie souverän ist dieses Land eigentlich, wenn es gegen die eigenen Interessen TINA-Politik macht?

Die FDP hat sich selbst bedeutungslos gemacht, weil sie schlichtweg nicht bereit war, Konflikte auszutragen und die Interessen ihres Klientels zu vertreten. Wozu soll jemand solch eine Partei wählen? Die ehemaligen Volksparteien können doch ein Lied davon singen. Dass im Osten der Republik fast jeder zweite Wähler seine Stimme einer Protestpartei gibt (BSW oder AfD) ist doch die eigentliche Zäsur. Hier im Osten will man nichts von TINA wissen. Man will den Kurs verlassen, der ach so "alternativlos" sein soll. Die FDP könnte daraus Profit schlagen, wenn sie sich dessen bewusst würde.

Am Ende landen wir wieder am Anfang: Demokratie lebt von der politischen Debatte und dem mündigen Bürger. Wer immernur bei der gleichen Partei sein Kreuz macht, ist nicht mündig und scheut den Konflikt der politischen Debatte. Wohlfühlen ist wichtiger, als reale Probleme anpacken. Dabei ist der Bereich, in dem man sich wohlfühlen kann, in den letzten 20 Jahren immer kleiner geworden und im Osten eben früher als im Westen. Deshalb wählt man drüben eben immer weniger "Etablierte" und die FDP geriet früher unter die Räder als andere Parteien. Die Grünen haben sich aus zwei der drei Landtage bei den diesjährigen Landtagswahlen verabschieden müssen, befinden sich im freien Fall bei der Wählergunst. Und nur mit Mühe haben sich in Sachsen die CDU und in Brandenburg die SPD vor der AfD positionieren können, während in Thüringen trotz (!) Höcke die AfD mit großem Abstand stärkste Kraft wurde.

In 10 Jahren wird es im Westen nicht anders aussehen. Dann ist der Wohlfühlbereich dank schrumpfender Vermögen und immer stärkerer Verarmung der arbeitenden Bevölkerung bezogen auf's Erwerbseinkommen soweit zusammengedampft, so dass auch hier niemand mehr etwas von TINA wissen will.

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