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  • Goerlitzer

mehr als 1000 Beiträge seit 30.11.2007

Schwacher Artikel - hier einiges zum Hintergrund des Konflikts EU-Polen

1. Das ganze Gezerre um Rechtsstaatlichkeit stellt nur die Fassade eines tieferliegenden Konflikts darstellt. Dass die EU von Anfang nicht glaubwürdig agierte, habe ich in einem längeren Posting am 17.5.2018 dargestellt (tp-Artikel: Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen).

2. Entgegen der Behauptung im obigen Artikel spielt inzwischen die Wahl der polnischen Verfassungsrichter keine Rolle mehr. An dieser Wahl sind in Polen mehr Institutionen und Personen wie in Deutschland beteiligt. Zuletzt hat sich die EU in dem "Rechtsstaats"-Streit auf den Wahlmodus für die Disziplinarkammer des höchsten Gerichts kapriziert, was sicherlich im Vergleich zu den gravierenden Rechtsstaats-Verletzungen in anderen EU-Ländern, z.B. Spanien, eher eine Randfrage ist.

3. Die heutige Entscheidung des poln. Verfassungsgerichts ist die Konsequenz aus der Nicht-Kompatibilität der poln. Verfassungsbestimmungen mit EU-Rechtsvorstellungen. So definiert der Art. 18 der poln. Verfassung die Familie als "Gemeinschaft von Mann und Frau". Allerdings wäre es für alle EU-Länder nicht unerheblich zu wissen, welchen Rang ihre Verfassung gegenüber Entscheidungen von EU/EuGH und EZB noch hat. Auch in Deutschland fragen wir uns, welche Rolle deutsche Rechtsnormen über die Haushaltsgesetzgebung noch haben, wenn EU und EZB auf Rechnung auch deutscher Staatsbürger sich munter verschulden bzw. dubiose Anleihen aufkaufen können.

4. Polen hat im im Durchschnitt der letzten 5 Jahre aus EU-Kassen in Form von Agrarhilfen, Strukturförderung u. ä. netto 9 Mrd. Euro kassiert. Vom Corona-Wiederaufbau-Fonds soll Polen bezogen auf die Einwohnerzahl weniger z.B. als Frankreich bekommen. Gerade die Mittel aus den sog. Kohäsionsfonds werden nicht zuletzt für Massnahmen eingesetzt, die auch den in Polen zahlreich vertretenen ausländischen Konzernen zugute kommen bzw. der allgemeinen EU-Intergration dienen, wie die Via Baltica.

5. Polen steht bei den Importen Deutschlands hinter China und den USA an 3. Stelle. Es spielt in den transnationalen Produktionsketten deutscher Konzerne eine zentrale Rolle. Eine Zollgrenze an Oder und Neisse würde z. B. die deutsche Autoindustrie innerhalb kurzer Zeit in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Temporäre Arbeitsmigranten aus Polen - in Deutschland zumeist nicht sozialversichert - spielen in vielen deutschen Wirtschaftsbereichen eine bedeutsame Rolle.
Insgesamt überweisen in Polen tätige ausländische Konzerne p. a. ca. 15 - 20 Mrd. Euro in Cash an ihre Muttergesellschaften, der grösste Teil davon wandert in die Steueroase/Gewinnschleuse Niederlande.

6. Die PiS-Regierung ist bemüht, Polen aus der peripheren Rolle eines kapitalschwachen Niedriglohnlandes herauszuführen. Zum Ärger der EU hat man u.a. (nach aktuellem Stand) 22 grosse Unternehmen mit Staatsbeteiligung als "strategisch und unverkäuflich" eingestuft. Das ist aber nur ein Punkt aus dem staatsinterventionistisch orientierten sog. Morawiecki-Plan, mit dem Polen Anschluss an Westeuropa bekommen will. Andere wichtige Element des Morawiecki-Plans habe ich in dem oben genannten Posting dargestellt. Neben seiner ökonomischen Rolle will Polen auch seine geopolitische Bedeutung stärken, dazu dient u. a. die sog. 3-Meeres-Kooperation, aber auch die schroffe, von der EU gestützte Konfrontationspolitik gegen Russland.

7. Im Streit Polen - EU geht es aber nicht nur um den grundsätzlichen Gegensatz Neoliberalismus - Staatsinterventionismus. Die Warschauer Regierung provoziert immer wieder durch milliardenschwere Auftragsvergaben an Konzerne ausserhalb der EU. Für den Bau eines polnischen Atomkraftwerks mit mehreren Blöcken wurde Ende 2020 ein Rahmenvertrag mit Westinghouse abgeschlossen, obwohl sich auch die franz. EF bewarb. Der Auftrag für das 6-Mrd.-Euro-Projekt "Zentraler Verkehrsknoten" (CPK) nördlich von Warschau wurde an ein koreanisches Unternehmen vergeben, obwohl sich auch West-Konzerne wie die Strabag darum bemühten.

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