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  • GBöttcher

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Staat im Staate

Bayernzwersch schrieb am 29.03.2022 11:53:

Die katholische und evangelische Kirche ist die größte Parallelgesellschaft, die es weltweit gibt und sie erschwert z.B. die Strafverfolgung und auch die freie Arbeitsplatzwahl.

An der Stelle noch mal der Hinweis auf ein wenig beachtetes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Oktober letzten Jahres:

"Staaten genießen bei hoheitlichem Handeln nach internationalem Recht Immunität vor den Gerichten anderer Staaten. Die erste Frage war daher, ob diese Immunität auch dem Heiligen Stuhl die Immunität von Staaten zugutekommt. Das ist eine Folge des Grundsatzes von souveränen Staaten. Wenn Staaten aber gleichrangig sind, so der Gedanke, kann ein Gericht eines Staates nicht über das Verhalten eines anderen Staates urteilen. Dieser Grundsatz ist auch in einem Übereinkommen der Vereinten Nationen festgelegt.

Allerdings ist der Heilige Stuhl kein Staat im eigentlichen Sinn. Der EGMR verwies aber darauf, dass der Heilige Stuhl mehrere internationale Abkommen unterzeichnet hat und im internationalen Rechtsverkehr wie ein Staat behandelt wird. Dies müsse dann auch im Bereich der Immunität gelten, folgerte der Gerichtshof. Diese Einschätzung steht im Einklang mit den Entscheidungen anderer Gerichte und entspricht der herrschenden Lehre in der Rechtswissenschaft.

Staatenimmunität hat lange gerichtliche Historie

Dann wandte sich der Gerichtshof der wichtigsten Frage zu: Gilt eine Ausnahme vom Grundsatz der Immunität von Staaten, wenn es um schwere Verstöße gegen Menschenrechte geht?

Die Beschwerdeführer machten geltend, der jahrelange sexuelle Missbrauch durch katholische Priester sei eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung habe im internationalen Recht eine besondere Bedeutung. Deshalb müsse das Prinzip der Staatenimmunität in diesem Bereich durchbrochen werden.

Die Frage nach Ausnahmen vom Grundsatz der Immunität bei möglichen schweren Verstößen gegen Menschenrechte, wird bereits lange diskutiert. Der Internationale Gerichtshof (IGH) setzte im Jahr 2012 einen vorläufigen Schlusspunkt unter die Debatte. Mehrere italienische Gerichte hatten entschieden, dass Deutschland für Menschenrechtsverletzungen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könne. Deutschland initiierte ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof. Dieser entschied, dass das Prinzip der Staatenimmunität auch in diesem Fall gelte (Germany v. Italy: Greece intervening, Urt. v. 03.02.2012).

EGMR folgt Internationalem Gerichtshof

Auch der EGMR entschied mehrfach in diesem Sinne. Bereits im Jahr 2001 urteilte er, dass ein Beschwerdeführer nicht berechtigt war, den Emir von Kuweit in Großbritannien zu verklagen (Al-Adsani g. Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 35763/97, Urt. der Großen Kammer vom 21.11.2001). Der Betroffene hatte behauptet, der Emir habe ihn schwer foltern lassen.

Später bestätigte der Gerichtshof seine Auffassung noch einmal im Fall eines Mannes, der angab, in einem Gefängnis in Saudi-Arabien wiederholt gefoltert worden zu sein (Jones u.a. g. Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 34356/06, Urt. v. 14.01.2014).

Britische Gerichte verneinten ihre Zuständigkeit für eine Klage gegen die Person, die die Folter vorgenommen hatte. Auch ihnen komme die staatliche Immunität zugute. Der Gerichtshof bezog sich dabei ausdrücklich auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Fall Deutschland gegen Italien.

EGMR lehnt Ausnahme von Staatenimmunität ab

An diese Rechtsprechung knüpfte der EGMR im Fall der belgischen Missbrauchsopfer an. Er entschied, dass das Recht der Beschwerdeführer auf ein faires Verfahren nicht dadurch verletzt werde, dass die belgischen Gerichte auf die Immunität des Heiligen Stuhls verwiesen hatten.

Der Gerichtshof erkannte an, dass die Beschwerdeopfer in ihrem Recht auf Zugang zu einem Gericht beschränkt worden seien. Diese Beschränkung sei aber gerechtfertigt, weil der Grundsatz der Staatenimmunität im internationalen Recht anerkannt sei. Das Urteil des EGMR bringt also auf den ersten Blick nicht viel Neues."
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/egmr-11625-17-klage-missbrauch-kirche-heiliger-stuhl-immunitaet/

Interessant auch der anschließende Kommentar des Urteils.

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