andimar schrieb am 02.01.2025 22:09:
"Selbstgewählt" - Ja sicher ist das so. Sie müssen es ja nicht tun. Haben sie früher auch nicht getan.
Den Befund teile ich: Früher, sagen wir: in den 70ern, 80ern, hatten wir hier eine deutlich andere politische Kultur als heute. Ja, die Parteien waren unterscheidbarer, sie hatten mehr "Profil". Und auch wenn es bereits damals ordinäres Machtgerangel und gnadenlose politische Auseinandersetzungen gab, so konnte man sich immerhin auf die Einhaltung basaler Anstandsregeln verlassen.
Heute nicht mehr, und das, obwohl sich die Spielregeln nicht geändert haben. Es war früher ein knallharter Wettbewerb um Stimmen und ist es heute auch. Haben "die Parteien" einfach mal beschlossen, die Sau rauszulassen? Mal abgesehen davon, dass monokausale Erklärungen meist wenig taugen, führt diese Erklärung gleich zur nächsten Frage: Wieso machen die das? Sittenverfall?
Ich denke, die gesellschaftlichen Umstände haben sich geändert:
1.) Zwei Jahrzehnte neoliberaler Politik haben die Sozialstruktur verändert, was zu einem erheblich raueren Klima geführt und zur "Politikverdrossenheit" beigetragen hat. Und zu einer noch viel krasseren Konzentration von Geld und Macht in den Händen weniger.
2.) Die "sozialen" Netzwerke haben den Gemeinsinn weitgehend eliminiert. Früher gab es Orte des anlasslosen & zufälligen Aufeinandertreffens von Personen aus ganz unterschiedlichen Schichten und Lebenszusammenhängen. Das ist vorbei, heute leben die meisten in ihren personalisierten Blasen.
3.) Krisen. Erst Finanzkrisen, dann Corona, und über allem schwebt eine Endlichkeitskrise - eine Krise, die eigentlich keine ist, da es sich nicht um eine vorübergehende Erscheinung handelt: der Klimawandel. Die meisten Menschen wissen oder ahnen, dass sich die wirtschaftlichen Grundlagen unserer moderen Zivilisation nicht mehr lange werden aufrechterhalten lassen.