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  • Karl-Katja Krach

528 Beiträge seit 09.07.2019

Was heißt "Apokalypse"? Wann ist ein Denken apokalyptisch?

[TRIGGERWARNUNG: Dieser Text enthält drei Genderdoppelpunkte!]

Was heißt "Apokalypse"? Wann ist ein Denken apokalyptisch?

Die Beantwortung dieser beiden Fragen geht notwendig der Anklage voraus, die hier gestellt wird. Peter Nowak redet gern davon, dass sich die bürgerliche Gesellschaft noch eher das Ende der Menschheit vorstellen könne als das Ende des Kapitalismus. Das Ende der Menschheit beschwören aber die allermeisten Umweltaktivist:innen nicht, sie reden von Ökozid und Genozid.
Es ist also dringlich, zu klären, was nun "apokalyptisch" ist und inwiefern dasjenige Ende der Geschichte, das Peter Nowak beschwört, nicht auch apokalytisch ist.

Die Auslöschung all dessen, was einem übergeordneten Zweck widerstrebt und sich ihm entzieht, das ist in der monotheistischen Apokalypse die Bedingung für das Reich "Gottes".
Apokalypse ist also nicht das Ende der Menschheit, sondern die Auslöschung des "Restes".
Apokalyptisch ist ein Denken, das die Auslöschung des "Restes", der sich einem Systemdenken notwendig entzieht, fordert oder als notwendig darstellt.

Weil die Rede auf den Nationalsozialismus kam:

Apokalyptisch ist der Faschismus nicht erst da, wo er exterminatorisch wird. Die Auslöschung des Restes, der sich der Ideologie des Ariertums entzieht, findet in Gedanken schon viel früher statt, nämlich bei der Delegitimierung jedes Widerspruchs.

Den Aufstand im Warschauer Ghetto zum Vergleich zu nehmen ist nicht deswegen falsch, weil Parallelen zwischen dem Exterminismus des Nazi-Faschismus und dem kapitalismusgemachten Artensterben gezogen werden. Solche zumindest impliziten Parallelen zieht eine Kritik des apokalyptischen Denkens notwendigerweise. Ein Vergleich muss aber auch Unterschiede benennen und wenn das fehlt, ist es eine Gleichsetzung und kein Vergleich.
Außerdem war der Aufstand im Warschauer Ghetto so chancenlos, wie es ein Aufstand von hungernden Somalis gegen den globalen Kapitalismus wäre. Wenn deutsche oder britische Klimaaktivisten ihre Lage mit der der Juden im Warschauer Ghetto gleichsetzen, steckt darin ein gehöriges Stück Geschichtsrevisionismus.

Viel relevanter für die Apokalypsekritik ist der Stalinismus:

Formal apokalyptisch war auch das Denken Stalins, als er 1939 den Hitler-Stalin-Pakt unterschrieb, weil er davon ausging, dass der Kriegsbeginn durch die Nazis kurz bevor stand und durch keine äußeren Einflüsse mehr gestoppt werden konnte. Diese Analyse war weitsichtiger als die Verharmlosungen der bürgerlichen Presse in Europa und den USA. Sachlich gesehen war sie korrekt und die Angst vor dem Faschismus und davor, dass das Bürgertum nichts wirksames gegen ihn unternehmen würde, bildete historisch die Bedingung, um die Nazis militärisch zu schlagen.

Nur weil jemand Paranoia hat, heißt das nicht, dass er nicht verfolgt wird. Im Gegenteil, kann das Verfolgt-Werden zu Paranoia führen. Menschen mit Paranoia sind aber zumindest eines nicht: Unvorbereitet für den Ernstfall.
Sie neigen allerdings dazu, selbst in ein Systemdenken zu verfallen und das apokalyptische Denken zu reproduzieren, so wie es im Stalinismus der Fall war. Auch dort wurde ideologisch die Auslöschung all dessen betrieben, was der Finalität des sozialistischen Menschen entgeht.

Wenn Linke von der Auflösung des Widerspruchs zwischen Individuum und Gesellschaft ausgehen oder von der Auflösung des Widerspruchs zwischen Konsument:in und Produzent:in (wie es so manche Wertkritik macht), dann schreiben sie die menschliche Vorstellungskraft in ein System von Zeichen ein, obwohl diese doch die Zeichen erst hervorbringt.
Systemdenken (instrumentelles Denken) bringt apokalytisches Denken mit sich und insofern ist apokalyptisches Denken kulturell tiefsitzend und nichts, was nur in Teilen der Klimabewegung vorkäme.

Zurück zum Klimawandel und dem Artensterben:

Kapitalistische Ideologien haben die Auslöschung dessen, was sich der Mehrwertgewinnung entgegenstellt, immer schon einbilanziert (was nicht heißt, dass dies auch als Posten in der Bilanz aufgeführt sein muss, sondern dass es immer schon gesetzt ist, auch wenn es vermeintlich nichts kostet). Auch bei linksliberalen Ideologien ist das der Fall, wenn sie mit der Rede von "Ökosystemdienstleistungen" die Natur in ein ökonomisches Systemdenken einschreiben und ihre Optimierung hinsichtlich der Fähigkeit zur Bindung von CO2, zur Bestäubung von Obstbäumen etc fordern und Umweltzerstörung durch CO2-Zertifikate bepreisen.

Die Apokalypse jedoch in allen Einzelheiten auszumalen - was derzeit ein Problem in kleinen Teilen der Umweltbewegung darstellt - führt allerdings eher zum Aufgeben als zum Widerstand.

Wenn es keine Utopie gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt, dann gibt es kaum noch etwas, was der korrumpierenden Hoffnung entgegensteht, man selbst und seine Kinder würden schon nicht besonders von der Apokalypse betroffen sein, man würde schließlich zu denen gehören, die am Ende für ihren Glauben belohnt werden würden. Das zeigt der Vergleich zwischen Stalinismus und bürgerlichen Demokratien im Kampf gegen den Nazifaschismus deutlich.

Wie apokalyptisch ist nun welche Utopie?

Es ist nun aber wichtig, dass die Utopie nicht selbst wieder apokalyptische Züge annimmt, wie es im Stalinismus war. Die zeitkritische Aufgabe, die Erderwärmung und das Artensterben aufzuhalten kontrastiert hier mit der Aufgabe der Utopie der Aufklärung, die auf einem - vom Prinzip her - unendlich langen freien Diskurs beruht. Für unser politisches Handeln kann nicht maßgeblich sein, den Kapitalismus in Gänze abzuschaffen, sondern Kapitalismen da, wo sie sich nicht abschaffen lassen, zumindest soweit in Ketten zu legen, dass sich das Ziel erreichen lässt, unsere Mit- und Umwelt soweit wie möglich zu erhalten und ihre weitere Zerstörung zu verhindern.

Wenn also Anarcho-Kommunismus in der Kürze der Zeit nicht machbar ist, dann muss auch Autorität zum Zuge kommen, ohne dass dabei die Bedingungen für einen freien Diskurs noch weiter erodiert werden. Auch wenn das Ende des Kapitalismus nicht machbar ist, muss die Umweltzerstörung zum Halt gebracht werden.

Das ist mir persönlich momentan schon Utopie genug. Wenn Stalin den Anarchokommunismus gepredigt hätte und einfach gar nicht regiert hätte, hätten die Nazis den Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach gewonnen und Großbritannien und die USA hätten Frieden mit dem Deutschen Reich geschlossen. Auch wenn wir es Stalin nicht nachmachen wollen, sollte doch klar sein, dass unsere Aufgabe ohne Autorität unmöglich zu erfüllen ist. Wir sind nicht im Krieg gegen die Nazis, sondern im Klassenkampf (selbst wenn wir ihn nicht führen) und das Ziel ist nicht die Vernichtung des Feindes, sondern, unsere Gegner politisch und gesellschaftlich relativ unwirksam zu machen.

An dieser Stelle sollten wir also nicht apokalyptisch werden und das Ende des Kapitalismus einfordern sondern ein Recht auf Experimente zur Nichtwarenproduktion und einen ergebnisoffenen Diskurs einfordern, der auch Kombinationen aus Nichtwarenproduktion, Kapitalismen und autoritären staatlichen Beschränkungen nicht per se ausschließt.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.04.2021 01:35).

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