Rob 1 schrieb am 22.05.2021 19:23:
Klaus N scrieb am 22.05.2021 17:23
Vielleicht erinnerst Du Dich, dass wir ähnliche Diskussionen schon geführt haben. Meine Position ist eben nicht, dass privat immer besser ist als Staat.
Das unterstelle ich dir gar nicht, aber du wirst wissen, dass dies das Credo wirtschaftsliberaler Kreise ist.
Genauer: das ist das Credo, das antiliberale Kreise den wirtschaftsliberalen Kreisen unterstellen.
Auch wenn ich mich lieber mit Linken streite, weil ich da mit mehr Widerspruch rechnen muss und Widerspruch macht klug, treibe ich mich doch ab und zu unter Wirtschaftsliberalen rum und kann dieses Credo nicht feststellen. Was Du meinst, sind Paläoliberale, aber die sind sehr seltene Tierchen. Häufiger ist schon die Neoliberale Seuche, die sagen, der Staat ist dazu da, uns unseren Gewinn zu sichern. Siehe Bankenkrise.
Irgendjemand hat mal gesagt, dass die Aufgabe des Staates nicht sein sollte, dass er alles tut, was er kann, sondern sich darauf konzentrieren sollte, das so gut wie möglich zu tun, was nur er kann.
Dem stimme ich bedingt zu, denn was wir seit Jahrzehnten erleben ist, dass der Staat immer mehr öffentliche Aufgaben privatisiert, sie also dem Kapital zur Verwertung zuführt und das ist nicht die optimale Lösung für die Gesellschaft.
Teilweiser Einspruch. Es kommt nicht darauf an, ob die öffentlichen Aufgaben gewinnorientiert oder kostenorientiert zur Verfügung gestellt werden, sondern ob sie wirtschaftlich und in bestmöglicher Qualität zur Verfügung gestellt werden.
BER war nicht wegen der Kapitalverwertung ein Fiasko, sondern wegen der Inkompetenz der handelnden (staatlichen) Akteure.
Aber die Frage ist kompliziert. Du hattest mich bei unseren letzten Diskussion beispielsweise darauf hingewiesen, dass zum Beispiel die öffentliche Planungskompetenz systematisch heruntergefahren wurde (ja, sowas merk ich mir :-) ), und das ist kontraproduktiv, egal ob es an kurzsichtigen Politikern oder an Lobbies liegt.
Vielleicht brauchen wir in unserer öffentlichen Verwaltung wieder mehr preussische/konfuzianische Verantwortungsethik. Singapur und China können solche Projekte jedenfalls besser stemmen.
Die Hauptaufgabe des Staates besteht darin, einen Ordnungsrahmen zu setzen, der Keinen übervorteilt oder benachteiligt, so dass der Markt optimal funktioniert und es nicht zu Konzentrationsprozessen kommt, die man ja korrekterweise dem Sozialismus als negativ ankreidet.
Ja, da haben wir einen Konsens. Ich würde noch hinzufügen, dass der Staat auch für die möglichst wirtschaftliche Bereitstellung öffentlicher Güter und auch für Umverteilung und den Schutz von Minderheiten und die Hilfe für die Schwachen zuständig ist.
Interessanter als der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit sind die Synergien zwischen Kapital und Arbeit.
Mit Kapital und Arbeit kann man mehr produzieren, als mit Arbeit allein. Also ist es sinnvoll, dass Kapital eingesetzt wird. Und tendenziell gilt: je mehr (produktives) Kapital eingesetzt wird, desto reicher ist eine Gesellschaft, desto höher sind die Löhne die gezahlt werden können, desto mehr kann auch für Umverteilung und Umweltschutz ausgegeben werden.
Diese Synergieeffekte scheitern an der Vorstellung der Kapitalinhaber, den größeren Anteil am Mehrwert verdient zu haben.
Sagen die Arbeiter :-). In Wirklichkeit profitieren alle vom Mehrwert. Der Staat über Steuern, die Verbraucher über preisgünstige Produkte, die Arbeiter durch höhere Löhne als sie ohne Kapital hätten, und natürlich die Kapitalisten, wenn sie ihr Kapital tatsächlich sinnvoll einsetzen.
Wenn ich überschlägig die Kapitaleinkünfte und Gewinneinkommen zum eingesetzten Kapital in Beziehung setze, komme ich immer auf Werte um die 3%. Das erscheint mir jetzt nicht besonders ausbeuterisch.
Ich sehe auch nicht unbedingt, warum eine Gesellschaft reicher sein sollte, wenn sie mehr produziert, denn nicht Alles, was produziert wird, ist auch nützlich und es werden mehr Resourcen verbraucht bzw. mehr Umweltprobleme geschaffen, für deren Beseitigung man wieder einen nicht unerheblichen Teil des Mehrwerts aufwenden muss.
Einverstanden, wobei mich manchmal die Definitionshoheit der Nützlichkeit stört. Unnütz ist meistens der Konsum der Anderen™ während der eigene Konsum Lebensqualität oder Grundrecht ist.
Eine recht interessante Lösung sehe ich hierin:
http://www.egbert-scheunemann.de/Ota-Siks-Humane-Wirtschaftsdemokratie-auf-5-Seiten.pdf
Ja, das habe ich mir auch mal vor einiger Zeit angesehen. Einer der besseren Ansätze. Wenn ich's mal vereinfacht zusammenfassen sollte: Genossenschaften + + Marktwirtschaft + makroökonomische Planung. Bei der makroökonomischen Planung bin ich zwar skeptisch, sie läuft Gefahr in die Schiller'sche Globalsteuerung* zu degenerieren (die war kein Erfolg), aber Šik hat ja seine Ideen vor Schiller entwickelt, und konnte das noch nicht wissen.
Eigentlich sind wir glaube ich beide Fans von Genossenschaften als Mittel zur Demokratisierung der Arbeit und zur Aufhebung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital. Sie verdienen mehr Förderung. Mich irritiert nur, dass der Enthusiasmus in der Bevölkerung gering ist und dass insbesondere die Gewerkschaften das Thema sehr stiefmütterlich behandeln. Wobei ich eine zynische Sicht auf die Motivation der Gewerkschaften habe: in einer Genossenschaft wäre die Macht der Gewerkschaften wahrscheinlich deutlich geringer, und deswegen wollen sie sie nicht.
* https://de.wikipedia.org/wiki/Globalsteuerung