Als erstes fällt die seltsam national eingeengte Sicht der bürgerlichen Parteiendemokratie auf, die selbstverständlich als 'die Demokratie' bezeichnet wird. Würde Seidler ein bisschen um sich schauen, sähe er alle möglichen Varianten - zwei bis Dutzende Parteien, ein oder zwei dominierende oder eine Gruppe vergleichbar starker, sehr statische und ungemein dynamische Parteienlandschaften, in denen bei jeder Wahl andere Formationen antreten.
Einen grossen Einfluss haben die Regeln, nach denen gewählt wird, Mayorz- oder Proporzverfahren oder eine Mischung davon, viele kleine oder wenige grosse Wahlkreise oder Wahlkreise, die gelegentlich neu zugeschnitten werden, quantitative Hürden, 3 oder 5 oder noch mehr Prozent Anteil, den Zwang sich bei jeder Wahl aktiv ins Register einschreiben zu müssen, oder ein permanentes Register, und so weiter, bis hin zur Frage wer wann wo die Gelegenheit zur Stimmabgabe bekommt.
In der Summe jede Menge arbiträre Festlegungen, die die Zusammensetzung der Parlamente beeinflussen und damit auch die Frage, wer schliesslich die Exekutive bilden darf. Gelegentlich wird korrigiert, reformiert, die Gewichte verschoben, an den Parteien als primäre Institutionen politischer Agglomeration aber nichts geändert.
In den letzten Jahren sind allerdings da und dort Versuche mit hauptsächlich aber nicht nur - es kann auf Representativität in verschiedener Hinsicht, Vorbildung etc. eine Vorauswahl getroffen werden - aleatorisch, also per Zufallsprinzip gebildete Bürgerräte gemacht worden. Das hat Vorteile. Die Ratsmitglieder mussten sich nicht vorgängig zum Produkt machen, sie sind meist intrinsisch motiviert, sachlich interessiert, bereit allfällige Wissenslücken aktiv zu schliessen. Es geht ihnen weit mehr um die Sache, Formalia und Taktik spielen eine untergeordnete Rolle.
Es besteht die Chance, von gewissen Kreisen aus gesehen die Gefahr, für von bestehenden Machtverhältnissen relativ unbeeinflusste, sachbezogene Entscheide. Genau deshalb wird diesen Ansätzen bisher kaum Einfluss eingeräumt, mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um Spielwiesen ohne realen Einfluss. Von solchen Räten getroffene Entscheide werden in die gewählten Parlamente eingespeist - und dort zur Kenntnis genommen, oder auch nicht.
Parteien waren ursprünglich Vertreter einer bestimmten Ideologie und vertraten wesentlich bestimmte Bevölkerungssegmente. Das ist heute nur noch sehr bedingt so, nun ähneln sie Konsumgüterkonzernen, die um den höchsten Umsatz buhlen. Das macht sie schliesslich alle zu Agenten des Bestehenden, der Blick für das politisch Notwendige ist verstellt, gesellschaftliche Gerechtigkeit spielt eine untergeordnete Rolle.
Paradoxerweise könnte das Zufallsprinzip daran etwas ändern.