In einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft wird der Bürger unter normalen Lebensumständen bei der Verrichtung seiner täglichen Angelegenheiten nicht belästigt. Man kann sogar sagen, das ist das entscheidende Kriterium, dass der Bürger selbstbestimmt und selbstorganisiert über seine Angelegenheiten bestimmen kann. Dann gibt es auch keinen Gegensatz zwischen der Zivilgesellschaft und der Staatsgewalt, deren exekutiver Arm die Ordnungspolizei ist.
In der bürgerlichen Klassengesellschaft des vorigen Jahrhunderts richtete sich die Überwachung gegen ganz bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die vom bürgerlichen Subjekt abzugrenzen waren. Das war die Unterschicht der Arbeiter, des Dienstpersonals, des kriminellen Untergrunds und der nicht integrierbaren ethnischen Minderheiten, die sich kulturell absonderten und ihre eigenen Regeln lebten.
Für den Normalbürger konnte so der Polizist zum Dienstleister werden, seine Tätigkeit wurde zum anständigen bürgerlichen Beruf, offene Gewalt wurde vermieden, in Konfliktsituationen schlichtend eingegriffen und es herrschte Respekt auf Gegenseitigkeit. Die Polizei war da und wurde gern gesehen, wenn es zu einem Unfall kam, wenn der Verkehr bei Großveranstaltungen geregelt wurde, um das Chaos zu vermeiden oder bei Gefahrensituationen, deren Bewältigung die zivilen Möglichkeiten überstieg.
Mit Abschaffung der Unterschicht und der Verbürgerlichung der Arbeiterschaft dehnte sich diese Zivilität auf die Gesamtgesellschaft aus, Gewerkschafter verprügelte man nicht mehr, der Staat vermied Partei zu sein, man zelebrierte den sozialen Ausgleich der Interessen.
Mit zunehmendem Machtungleichgewicht zwischen Volk und Kapital und schließlich der Abkoppelung des internationalen Finanzkapitals vom Nationalinteresse im Namen der Globalisierung, änderte sich das. Mit dem Machtverlust des Bürgers über seine Lebensumstände verschärften sich die Klassengegensätze wieder und das bürgerliche Subjekt geriet selbst ins Visier der Herrschenden. Schließlich wurde der Bürger in der Vorschriftengesellschaft und dem Überwachungsstaat zunehmend zum Gefährder und zum potentiellen Feind erklärt, der permanent unter Aufsicht gestellt, der Volksbestrafung im Ordnungswidrigkeitenrecht zugeführt werden musste. Im Blick der Polizei passte er damit zunehmend ins Beuteschema bei der Hasenjagd. Nun wird im Volk Staatsfeindlichkeit und Querulanz vermutet, weil es sich nicht vollständig den ausufernden Vorschriften unterwirft.
Eine Gesellschaft der Überwachung, Verfolgung und des Vorschriftenmachens in allen Lebensbereichen - bis in die Privatangelegenheiten von Familientreffen hinein - generiert nichts weniger als den freien Menschen, sie züchtet den Untertan. Das Volk als Untertan kann aber nicht Souverän des Landes sein, es wird zum Spielball polizeilicher Schlägertrupps.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.10.2021 09:58).