Der Kenntnis- und Theoriemangel hier im Forum ist eklatant.
Bis auf wenige Ausnahmen herrscht hier Empörung über oder Abwiegelei der Polizeigewalt - je nach Ideologie. Beides ist deshalb verfehlt, weil überhaupt nicht reflektiert wird, welchen Zweck Staaten verfolgen und welche Mittel sie sich zu diesem Zweck selbst gegeben haben.
Staaten sind Zwangssysteme, die je nach Bedrohungslage mit allen Mitteln, also auch mit physischer Gewalt, dieses Zwangssystem schützen. Zu diesem Zweck haben sich Staaten das Gewaltmonopol verschafft, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen seinen Insassen zu unterbinden oder Angriffe auf den Staat abzuwehren.
Polizei und je nach Staat auch paramilitärische und militärische Kräfte sind Ausführende dieser staatlichen Gewalt. Je nach Staat sind die Insassen dieser Gewalt völlig rechtlos ausgesetzt oder mit effektschwachen oder effektstärkeren rechtlichen Möglichkeiten ausgestattet, um sich gegen ungerechtfertigte oder unverhältnismäßige Ausübung der Staatsgewalt juristisch zur Wehr zu setzen.
Der deutsche Staat gehört grundgesetzlich verbrieft zu den Staaten, die den Staatsbürgern (Insassen) relativ starke rechtliche Möglichkeiten gegen staatliche Willkür und unrechtmäßige Gewalt einräumen, ohne die Dominanz der Exekutive gegenüber den Insassen aufzugeben und ohne die Definitionsmacht über gerechtfertigte und angemessene Gewaltanwendung zu verlieren. Im Kern ist das Verhältnis zwischen Staat und seinen (!) Staatsbürgern im Art. 20 GG geregelt:
Art. 20 GG
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
In Wahlen gibt "das Volk" (= staatliche Fiktion) die Staatsgewalt an die gewählten Vertreter*innen der Gesetzgebung (Legislative) ab, die sich - ebenso wie die Exekutive (Regierung, Polizei, Bundeswehr, Finanzamt usw.) - an das Grundgesetz sowie andere Gesetze und die Rechtsprechung (Judikative) zu halten haben. Jedem Deutschen wird das Recht eingeräumt, Widerstand gegen eine Beseitigung dieser Ordnung zu leisten, also sich für seine weitere Verfügbarkeit für den Staat einzusetzen.
Die Definitionsmacht über alle und alles liegt prinzipiell bei den Abgeordneten des Parlaments, die laut Art. 38 nur ihrem Gewissen unterworfen sind und nicht "an Aufträge und Weisungen gebunden" sind. Die Regierung als Befehlshaber der Exekutive hat durch ihre herausragende Stellung im Gesetzgebungsverfahren den größten Einfluss auf die Gesetzgebungsverfahren des Parlaments (genauere Ausführung würde hier zu weit führen).
Hinter diesen rechtlichen Bestimmungen liegen die grundlegenden Staatsziele, die im Grundgesetz nicht eindeutig festgelegt sind, aber faktisch existieren. Hauptstaatszweck ist die Sicherung und Förderung von Wirtschaftswachstum und damit von Profiten der Kapitalunternehmen und die Sicherung der Staatsmacht, um diesen Staatszweck verfolgen zu können.
Den Insassen der Bundesrepublik Deutschland können in diesem Zusammenhang Pflichten auferlegt werden, die sie bei Androhung von Gewalt, wenn sie diesen Pflichten zuwiderhandeln sollten, verwirklichen müssen - als Soldat*innen unter unmittelbarem Einsatz ihres Lebens für den Staat*, als Dienstverpflichtete in verschiedensten Bereichen, als verbeamtete Lohnabhängige u.Ä.
Persönliches Eigentum der Staatsinsassen kann in Krisenzeiten/Notstandslagen beschlagnahmt werden. Der Notstand wird von den nur ihrem Gewissen unterworfenen Abgeordneten definiert unter starker Beeinflussung durch die Regierung und andere exekutive Organe. Grundrechte können temporär (der Zeitraum ist staatliche Definitionssache) außer Kraft gesetzt werden (im Katastrophen-, Krisen-, Bedrohungs- oder eben auch im Pandemiefall) - das alles ist gesetzlich geregelt oder in Krisenzeiten der Exekutive überantwortet (auch gesetzlich geregelt).
Diese Andeutungen sollen erst einmal reichen.
Die alarmistische Empörung oder die harmonistische Abwiegelei vieler Forenten verfehlt völlig die herrschenden Verhältnisse.
Nur damit das klar ist: Ich halte diejenigen, die ich hier kritisiere, nicht für dumm oder für ungebildet. Nur, sie erfreuen sich lieber an diesen verfehlten Haltungen, halten sich dabei auch noch für kritisch in die eine oder andere Richtung und wollen nicht wahrhaben, wo sie unter welchen politisch-ökonomischen Bedingungen leben. Das ist Realitätsverdrängung als besondere Form des Untertanentums.
Kapital- und Staatsrepräsentanten freut das.