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  • G. Garibaldi

379 Beiträge seit 24.11.2017

Zur Erinnerung

"Die Herrschaft über die Wirklichkeit hat die Polizei"
06. Oktober 2017 Olaf Arndt

Gespräch mit dem Kriminologen Prof. Dr. Fritz Sack anlässlich der Ereignisse während des G20-Gipfels über Gewalt und Polizei
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Immer neue Gesetze und Regelungen zum Schutz von Polizeibeamten und eine zunehmend auf Härte setzende Einsatzstrategie, die selbst vor Rechtsbruch nicht zurückschreckt, stellen mitten in Deutschland grundlegende Menschenrechte infrage. Die polizeiliche Reaktion auf das Protestgeschehen rund um den G20-Gipfel hat dies überdeutlich gezeigt.

Der Streit um das Demonstrationsrecht und das Recht auf Versammlungsfreiheit beginnt notwendig auf der Straße. Zugleich müssen die Bürger trotz einer massiven Propaganda über Gewaltbereitschaft und Gefährdungen, die abschrecken soll, für demokratische Anliegen sensibilisiert werden. Auf dem Kongress "Demonstrationsrecht verteidigen" in Düsseldorf am 7. Oktober 2017 wird deswegen beraten, was zu tun ist, um Demonstrationsrecht, Streikrecht und Pressefreiheit zu verteidigen.
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Hardliner in der Polizei

Fritz Sack: Viele von diesen Eskalationprozessen … das ist die Dialektik zwischen dem, was manifest ist und dem, was latent ist und was man latent halten kann. In der Konfliktforschung geht man davon aus, insbesondere im Hinblick auf Konflikte zwischen Polizei und anderen gesellschaftlichen Kräften oder gesellschaftlichen Bewegungen, dass die Polizei immer Leute einstellt, die Hardliner sind. Die bereit sind, Regeln zu verletzen und Regeln zu übertreten und solche Dinge zu tun, zu eskalieren.

Jede Polizei braucht jemanden, den sie nachher als Schwarzes Schaf hinstellen kann. In jeder Stiege von Äpfeln gibt es einen faulen - die Polizei stellt es immer so dar, als könne man das nicht vermeiden, dass da faule darunter sind. Aber diese faulen Äpfel, die braucht man dringend. Die haben eine bestimmte Funktion. Haben die bestimmte Funktion, solche Bedingungen herzustellen, die die Polizei zwar beklagt, die sie aber braucht - instrumentalisieren kann -, um ihre Arbeit effektvoll zu begehen oder zu gestalten.
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Olaf Arndt: Die Schieflage tritt beim Gewaltbegriff der Polizei am deutlichsten zu Tage. In einem aktuellen Prozess Mitte August 2017 in Göttingen gegen Demonstranten argumentierten die Beamten einer als besonders brutal bekannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, Gewalt seitens der Polizei sei keine 'richtige Gewalt'.

Ein Polizist zeigte sich überzeugt, das Recht zu haben, Demonstranten zur Auflösung einer Sitzblockade ins Gesicht zu schlagen. Das muß man dann analog als 'falsche Gewalt' werten, eine, die den Namen Gewalt nicht verdient. Das alles fast Dudde in einem Bonmot zusammen: "Räumpanzer haben keinen Rückwärtsgang."

Da fühlt man sich gleich machtlos, überrollt, so als hätten die Geräte nicht mal eine Bremse. Rigoros nenne ich solches Verhalten im Sinne des lateinischen Stammwortes, dass 'starr, fest' und 'unbeugsam' und als Substantiv "Härte" bedeutet. Das Wort steckt ja auch im "hardliner".

In Hamburg ist nach dem G20-Gipfel vom Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz die Behauptung aufgestellt worden, es habe keine Polizeigewalt gegeben. Scholz ergänzte: "Das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise." Gemeint war damit, vermute ich, es habe keinen Gewaltexzess im Dienst gegeben. Die Hamburger Härte sei die angemessene Reaktion auf die von den Demonstranten vorgetragene Gewaltbereitschaft.

In Zeiten von "social media", allgegenwärtiger digitaler Aufzeichnung und subversiver Veröffentlichung ist das eine These, die schwieriger zu halten ist, als während der Unruhen in den 50er und 60er Jahren. Heute kann man wenige Tage nach den Ereignissen im Internet etwa 500 Videos ansehen, in denen ein schwarzes Heer wütet, das am Boden liegende, ungeschützte Menschen tritt und boxt, sie mit Gas einsprüht, sie die Wand hochtreibt an Orten, wo sie nicht flüchten konnten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es einen in gewisser Weise lustvollen Einsatz von Gerät gibt, und dass der perfekte Körperschutz der Einsatztruppe sie mit sich fortreißt, hinein in ein Gewaltszenario, das in der Ausrüstung schon angelegt ist. Wieviel Lust am Strafen vor dem Urteil ist denn im Spiel bei der Polizei?

Lizenz zur Gewaltanwendung

Fritz Sack: Die Polizei hat die "Lizenz der Gewaltanwendung"3. Das ist eine alte Weisheit von Max Weber und anderen, die sagen eben, das Recht physische Gewalt anzuwenden, liegt exklusiv bei der Polizei. Das bedeutet natürlich, sie muss bereit sein, Gewalt anzuwenden, auch mit Lust und mit Überzeugung.

https://www.heise.de/tp/features/Die-Herrschaft-ueber-die-Wirklichkeit-hat-die-Polizei-3849174.html?seite=all

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