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  • aquadraht

mehr als 1000 Beiträge seit 17.11.2000

Nicht wirklich

Ich denke, er ähnelt eher dem Louis Napoleon, der schon eingesperrt
und verfolgt hat, rechts und noch mehr links, aber nicht so
hemmungslos geköpft. Dessen Regime war auch ähnlich korrupt
(allerdings prosperierender), wen es interessiert, der lese Zola. Ob
er so endet, steht im Kaffeesatz oder der Glaskugel.

Poroschenko ist aber meiner Meinung nach keinesfalls die Marionette
der Amerikaner. Vielmehr betreibt er eine nicht ungeschickte
Schaukel- und Lavierpolitik. 

Als er gewählt wurde, hatte er wenig Hausmacht, gegen ihn standen die
anderen Oligarchen und die von den USA gesponsorten und aufgehetzten
Rechtsextremen, die den nationalen Sicherheitsrat, das
Verteidigungs-, das Innen- und das Aussenministerium beherrschten.
Parubij hatte mehr faktische Macht als der Präsident, ebenso Jazenjuk
als Marionette der US-Neocons. 

Poroschenko hat sich nie offen gegen die Nazis gestellt, und auch
nicht gegen die USA. Aber er hat einen nach dem anderen von seinen
Konkurrenten abserviert. Er hat zwar die Kriegsrhetorik und die
Verschärfung des mörderischen Überfalls auf den Donbass mitgetragen,
aber die Konsequenzen geschickt auf die beiden verschlissenen
Verteidigungsminister abgewälzt. Der Aussenminister musste nach
primitiven Ausfällen gegen Putin und Randalieren im Mob vor der
russischen Botschaft gehen. Die Nazibataillone wurden im Donbass
gezielt ausgeblutet. 

Gleichzeitig hat Poroschenko sein eigenes Spiel gespielt. Im Juni hat
er sich dem Trotzköpfchen Obama und seinem "mit diesem Putin ess ich
nicht, nein, mit dem Putin ess ich nicht" verweigert und bei der
Gelegenheit federführend an der Schaffung des Normandie-Formats unter
Ausschluss der USA mitgewirkt. 

Er hat dieses Format auch nach Minsk 1 und 2 getragen, nachdem er von
Ende Juni bis August 2014 und dann Dezember 2014 bis Januar 2015 die
Kriegsbestien von der Kette und ins Messer laufen liess. Ihm selbst
hat das nicht geschadet. Den Gesprächsfaden nach Moskau hat er zu
keinem Zeitpunkt abreissen lassen.

Er hat dann ein paar nichtukrainische US-Marionetten in die Regierung
genommen und Kholomoiskys Kreatur in Odessa durch den abgehalfterten
Sackarschwilli ersetzt, ein Schachzug, der als Einknicken vor den USA
erschien. Tatsächlich hat sich der hausmachtlose und in Georgien
gesuchte Krawattenfresser in Odessa gründlich verhasst gemacht und
blamiert. 

Auch die "ausländischen Experten" in der Regierung sind in einer
ähnlichen Situation: abgeschnitten von wirklicher Aussenpolitik und
ohne Hausmacht. Wenn Typen wie McCain und die Tochter Gaidars (und
Ehefrau Navalnys) Mit Sackarsch in gestohlenen Villen in Odessa
Fress- und Sauforgien feiern, nutzt das dem US-ukrainischen
Verhältnis auch nicht wirklich.

Und nun hat er zum Schlag gegen die rechten Marodeure ausgeholt. Es
kann sein, dass er damit noch richtig Popularität gewinnt, so wie
einst Hitler durch den "Röhm-Putsch" (man lese dazu Sebastian
Haffners Essays aus dieser Zeit).

Ich weiss nicht, ob Poroschenko diese Rolle des Fetts, das immer oben
schwimmt, auf Dauer aufrechterhalten kann. Immer noch ist in der
Ukraine die Stimmung unter der politisch aktiven Minderheit
rechtsextrem-nationalistisch aufgeladen. Ein Teil der Menschen
fiebert auch der Visafreiheit entgegen, um schnell Richtung EU
rüberzumachen (die Freunde der Bordellflatrate können sich schon
freuen). So ganz sicher ist aber nicht, dass diese kommt, denn die
Rada hat noch nicht alle betreffenden Gesetze verabschiedet, und in
der EU ist die Begeisterung auch eher gedämpft.

Aber wie gesagt, Poroschenko ist in gewisser Weise eine Überraschung
im ukrainischen Chaos. Unterschätzen würde ich ihn nicht.

a^2

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