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  • Goerlitzer

mehr als 1000 Beiträge seit 30.11.2007

Anschluss an westeurop. Sozialmodell oder zurück zum neoliberalen Modellstaat?

Mehrfach habe ich im Tp-Forum dargelegt, dass ich kein Freund der PiS bin. Ihre geopolitischen Ambitionen und Strategien halte ich für unrealistisch, Spannungen-verschärfend und wirtschaftspolitisch kontraproduktiv. Allerdings ist klar, dass speziell an dem Konfrontationskurs gegenüber Russland sich bei einer Machtübernahme der Bürgerplattform nichts ändert.

Andererseits muss ich der PiS zubilligen, dass eigentlich nur in ihren Regierungszeiten (2005-2008, 2016 - ?) es in Polen Anstrengungen gab, das Land zu einem Sozialstaat westeuropäsichen Formats zu entwickeln. In den 90ern sollte Polen unter Anleitung des heute noch in deutschen Medien gerühmten ehemaligen Finanzminister Leszek Balcerowicz zu einem neoliberalen Modellstaat entwickelt werden, - kein Recht auf Sozialhilfe; kein Arbeitslosengeld; völlig unzureichende, nur von Arbeitnehmern finanzierte Krankenversicherung; Privatisierung der Rentenversicherung (musste in der Finanzmarktkrise abgebrochen werden); Kindergeld im Bereich von 10-12 Euro, völlige Asozialität des Steuersystems mit Einkommenssteuer für Kleinsteinkommen und Steuerbefreiung für Konzerne.

Einiges hat die PiS korrigieren können.. Die vom EU-Weissbuch empfohlene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67, was poln. Männern im Durchschnitt 4-5 Jahre Rente gewährt hätte, wurde zurückgenommen. Statt rund 120 Euro beläuft sich der Steuerfreibetrag inzwischen auf rund 1800 Euro. Das Kindergeld wurde auf rund 110 Euro erhöht. Niedrigstrenten wurden prozentual deutlicher erhöht als die übrigen Renten (in Deutschland Tabuthema). Die Steuerfahndung wurde erheblich intensiviert, Transfers in Steueroasen erschwert, dem in der EU-üblichen Mehrwertsteuer-Karussell Ketten angelegt.

Die PiS versucht, Polen aus der peripheren Rolle in der EU herauszuführen. Dazu dient der Morawiecki-Plan, dessen Kerngedanken der Aufbau eines nationalen Kapitalstocks und die Schaffung konkurrenzfähiger polnischer "Player" sind. Die EU-Kernländer, für die die billige polnische Arbeitskraft wichtig ist, versuchen das (mögichst lange) zu verhindern. Das ist der Grundkonflikt zwischen Brüssel/Berlin und Warschau.
Wenn es der EU tatsächlich um die Rechtsstaatlichkeit gehen würde, dann hätte sie zum Beispiel auch in Deutschland genug zu tun.

Corona hat auch in Polen vieles verändert. Gesundheitspolitisch war man mit strikten Hygienemassnahmen durchaus erfolgreich. Wirtschaftspolitisch versucht man, die Wirtschaft keynesianisch am Laufen zu halten bzw. wieder in Gang zu bringen. Aber es fallen Refinanzierungskosten an. Wer die zu tragen hat, wird die entscheidende Frage sein. Die PiS wird versuchen, ihren populären sozialpolitischen Kurs aufrecht zu halten. Eine schleichende Machtübernahme der Bürgerplattform auch durch erfolgreiche Präsidentschaftswahlen (den Senat kontrolliert man bereits), bringt die Gefahr mit sich, dass Corona zum Argument für ein neoliberales Rollback wird. .

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