loginzerstoert schrieb am 27.06.2023 21:50:
Keiner hier im Westen/ Keiner von uns/ .. versteht wirklich was in Russland vor sich geht
Wie sollen wir etwas verstehen können, was ein großer Teil der Betroffenen nicht einmal selbst versteht - weil es eine Sache des Überlebens ist, sich möglichst nicht dafür zu interessieren?
In westlicher Demokratie geboren und Putins Bestrebungen einer Annäherung an den Westen zu Beginn seiner Präsidentschaft erlebend, wähnte ich die Mentalität der Russen gleichartig der unsrigen. Schließlich empfinde ich die der unter uns lebenden Russen sowie die der ehemaligen Sowjetstaaten der unsrigen auch als sehr ähnlich und so ein paar (oft sogar liebenswerte) Eigenheiten gehören irgendwie ja auch zur Identität eines Volkes. Erst im Verlauf dieses Krieges begann ich zu erkennen, wie fremdartig dieses Land und seine Menschen im Vergleich zum übrigen Europa sind, wie seltsam anmutend deren Kultur und Lebensart.
In seiner Struktur scheint es in diesem Land auf der einen Seite eine "Regierung" zu geben, die im Gegensatz zu westeuropäischen Mafia-Organisationen in Russland ganz ungeniert öffentlich kriminell agiert (wie z.B. dem Einsatz von verbotenen Söldnerarmeen) und auf der anderen Seite das Volk, das sich ohne große Gegenwehr von den kriminellen Machenschaften seiner Regierung ausbeuten lässt, denn wer es wagt sich gegen den Regierungsapparat zu stellen, der steht alleine und sollte wohl besser bereits sein Testament in der Schublade liegen haben, wenn man sich die vielen Unfälle und plötzlichen Erkrankungen von Regimegegnern anschaut.
Es scheint, als hätte dieses Volk keine Ideale, für das es bereit wäre sich demonstrierend zu erheben, wie es beispielsweise die Franzosen oder Polen gerne tun. Jeder leidet still vor sich hin, klagt maximal flüsternd (wenn überhaupt) und achtet außer Haus picobello gestylt darauf, dass niemand sieht was man entbehrt, falls überhaupt bewusst ist, etwas zu entbehren. Vielleicht sind diese Menschen sogar der Meinung, ständige Entbehrungen seien eine Selbstverständlichkeit des Lebens.
Wer bei dieser Scharade nicht mitmachen will, verlässt das Land sobald die finanziellen Mittel dies zulassen und wenn das eigene Leben aufgrund einer militärischen Mobilmachung in unmittelbare Gefahr gerät, dann muss man sich notgedrungen eben irgendwie auf der Flucht durchschlagen. Man gewinnt den Eindruck, als habe sich dieses Volk über Generationen hinweg zu Passivität sowie großer Leidensfähigkeit entwickelt. Statt sich in seinem Leiden gegenseitig zu stützen, hat dieses Volk eine Kultur der Gewalt geformt, in der es untereinander übereinander herfällt, statt Zorn und Frust gegen die kriminellen Elemente ihres Landes zu richten. Wodka mag auch eine wichtige Rolle in diesen seltsamen Erscheinungen spielen.
Gleichzeitig trägt dieses Volk einen unglaublich starken Nationalstolz in sich, in dem es sich selbst offensichtlich als die "Eliterasse" der Menschheit sieht. Und das alles, obwohl viele von ihnen Einblick in das Leben von Menschen in anderen Ländern haben oder von Mitbürgern mit solchen Einblicken darüber berichtet bekommen.
Jede Kultur weist Zwiespälte auf die für Außenstehende schwer oder gar nicht nachvollziehbar sind, doch ich kenne keine andere Zivilisation in der diese in solcher Ausprägung existieren und auch noch ritualisiert zelebriert und gelebt werden, wie in Russland. Wie soll man diese Menschen verstehen? Soll man sie als vollkommen bekloppt abstempeln oder lieber diplomatisch in ein Mysterium hüllen, das ein normaler menschlicher Verstand naturgemäß ohnehin nicht begreifen kann? Ich für meinen Teil gebe die Versuche auf dieses Volk zu verstehen zu wollen und begnüge mich damit alles mit "Ist eben so." hinzunehmen, wie es sich mir präsentiert.