Ich verstehe Ihre Position. Man kann dagegen nur einwenden, dass unter den damals gegebenen geistigen Klima sehr junge Menschen sicherlich ein gerüttelt Mass an Eigenheit haben mussten, um einzusehen, dass man sich diesem System zumindest entziehen musste. Vielleicht war die Betreffende damals in der Tat eine glühende Anhängerin der herrschenden Ideologie, vielleicht bewunderte sie auch Machtexponenten persönlich. Sie war ja wohl indoktriniert.
Noch schlimmer - vielleicht ist sie von dieser Einstellung nie wirklich weggekommen. Ich weiss es nicht. Was ich diesbezüglich zum Ausdruck bringen will - 'einmal Nazi immer Nazi' halte ich für falsch, ja unmenschlich unduldsam. Vorallem, wenn es sich um sehr junge Menschen handelt. Bekanntlich neigen diese zu ausgeprägter Schwarz-Weiss-Optik. Und die Einflüsse ihres Umfelds sind noch kaum durch eigne Lebenserfahrung relativiert.
Das entschuldigt natürlich nichts, aber Verfehlungen der Art, wie sie diese Frau begangen hat - also hauptsächlich, sich dieser extrem menschenfeindlichen, in Teilen nackt nihilistischen Maschine zur Verfügung gestellt zu haben, sollten einigermassen zeitnah juristisch geahndet werden. Dafür wäre jahrzehntelang Zeit gewesen. Das hat im deutschen Nachfolgestaat aber niemanden interessiert. Viel schlimmer, eine Unzahl an NS-staatstragenden Funktionsträgern wurde unbehelligt gelassen, in vielen Fällen in neues Amt und neue Würde gekleidet, gelegentlich nicht obwohl sondern sogar wegen der Nazi-Vergangenheit. Da mutet es dann schon kläglich an, wenn weitere Jahrzehnte später, da diese Leute, die während der Nazizeit schon deutlich älter waren als die heute Angeklagte, längst gestorben sind, eine damals blutjunge Person in subalterner Funktion sozusagen pro toto vor den Kadi gestellt wird. Sagenhafte 76 Jahre, nach den inkriminierten Taten.
Wozu dient das? Für Gerechtigkeit ist es zu spät. Wenn sie es bis heute nicht eingesehen haben sollte, wird sie das auch nicht mehr. Und die Schwertäter sind längst tot, manche wie gesagt gesellschaftlich anerkannt gestorben. Wozu dient es also? Zur Selbstvergewisserung eines Staates, der, wie in meinem Post erwähnt, durchaus noch nicht so weit zurückreichende Flecken auf der Weste hat.
Mir kommt gerade ein Fall in den Sinn, wo es um einen jungen Mann geht, der im Rahmen eines polizeilichen Zugriffs - er war jemandem zuhilfegekommen, was die Polizisten aber offenbar nicht erkannten - arg zusammengeschlagen, als Schwuchtel beschimpft und tatkräftig gedemütigt wurde. Er erstattete Anzeige. Aber wie das so geht, wurde er selbst angklagt, in erster Instanz freigesprochen, die Staatsanwaltschaft zog es weiter, in zweiter Instanz in sehr deutlicher Form freigesprochen, die Staatsanwaltschaft zog es weiter, in dritter Instanz nochmals inklusive deutlicher Kritik an der Staatsanwaltschaft freigesprochen. Worauf endlich ein Verfahren gegen die Polizisten eingeleitet - und kurz darauf mit windiger Begründung wieder eingestellt wurde.
Das ist nicht ganz so arg, wie die Fälle, bei denen Inhaftierte unter ungeklärten Umständen in Polizeizellen umkamen, wie etwa Oury Jalloh 2005 in Dessau, aber schlimm genug. Und ich nehme mir heraus einen Zusammenhang herzustellen zwischen der geradezu biblisch anmutenden juristischen Standfestigkeit gegen die KZ-Sekretärin und dem offenbar auch von weiteren staatlichen Institutionen gedeckten Korps-Geist bei der deutschen Polizei und nenne ersteres deswegen Heuchelei.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (02.10.2021 17:35).