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  • Anestis

863 Beiträge seit 04.09.2002

Das "wir" und die anderen

Es gibt eine Sprachbarriere im Deutschen, die selbst einer, der beste Absichten verfolgt, nicht überwinden kann. So hatte etwa Marc Brost in einem Artikel in der Zeit - sicherlich gut gemeint - sich selbst und seine "wirs" so markant abgetzt, dass er genau das tut, was er mit dem Satz eigentlich kritisieren will:

http://www.zeit.de/2013/12/01-Agenda-2010

"Ich bekomme Hartz IV ": Diesen Satz sagt man in Deutschland besser nicht, weil er
als Schmach gilt und nicht – wie es eigentlich sein sollte – als Selbstbeschreibung von
Menschen, die viel dafür tun, wieder auf die Beine zu kommen. Dass wir alle – die
Sorglosen, die Gutverdiener, die Mittelschicht – uns viel mehr als früher mit Worten nach
unten hin abgrenzen, ist die eigentliche Schande der vergangenen zehn Jahre.

Ähnliches - übrigens vom selben Autor - in einem Artikel der Papierausgabe der Zeit vom 04.02.2016 (S. 6):

Teilen wir nicht längst? Wir stellen anderen unsere Wohnungen zur Verfügung, wir nutzen Autos gemeinsam, wir streamen Musiktitel, statt sie zu kaufen. Die Sharing-Economy gilt als postkapitalistische Wirtschaftsform, mit der die dringendsten Probleme der Menschheit gelöst würden. (...)
Allerdings müssen wir dann auch über Armut und Reichtum bei uns reden. Denn es ist ja so: Deutschland mag ein reiches Land sein, aber nicht alle in Deutschland sind reich. Das gilt auch für die USA, für Frankreich oder für Großbritannien. Und wie soll man Menschen zum Teilen bewegen, die selbst nichts haben?

Es gibt also "bei uns" Menschen, die nichts haben, die aber - selbst beim besten Willen und unter größter Anstrengung - nicht als "wir" bezeichnet werden können.

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