Der Artikel vertritt eine These durchgehend. Dazu liefert er gutes Material. Trotzdem lässt er aus, dass bestimmte Fortschritte auch über das medizinische Modell erreicht wurden und wohl weiter erreicht werden.
Kein Argument ist die Feststellung, dass sich Erkrankungen auf Verhaltensebene nicht biologisch eindeutig diagnostizieren lassen. Stichwort: Symptom, Syndrom. Wer Coronavirus positiv ist muss nicht unbedingt CoViD19 entwickeln. Das falsche Verständnis dieser grundlegenden Tatsache führt bei allen möglichen Themen zu unsinnigen Schlüssen.
Als Verhaltenstherapeut "mit Leib und Seele" vertrete ich für die Behandlung ein empirisch begründetes Vorgehen. Als Psychologe stehe ich für eine symptomorientierte Behandlung auf Verhaltensebene ein. Trotzdem: Man kann bei Angststörungen typische Veränderungen vor und nach erfolgreicher Therapie in Hirnstrukturen messen. Man kann Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis neurophysiologisch abbilden und ohne Neuroleptika ist die Suizid- und Rückfallquote deutlich höher.
Die "modernen" Diagnosesysteme haben einige Varianten der Depressionen mustergültig mit dem Vorschlaghammer in ein Schema gepresst. Die endoreaktive Dysthymie kommt nicht mehr vor. Dabei kenne ich aus meiner Praxis, zugegeben nur zwei, Verläufe, die mustergültig in die alte klinische Beschreibung passen und nach Einnahme von dem passenden Medikament, was zu finden in beiden Fällen mehrere Anläufe erforderte, war die Depression plötzlich im Griff. Auch mit Hilfe kognitiv-behavioraler Therapie.
Zugegeben: Beobachtungen von Praktiker:Innen haben nicht das Niveau wissenschaftlich kontrollierter Untersuchungen. Ich stehe voll hinter meinen Modellen. Trotzdem habe ich den Patient:Innen immer empfohlen, sich allgemeiner zu informieren und bei gewichtigen Entscheidungen eine zweite Stimme zu hören.
Nur mit finanziellem Interesse den Erfolg verschiedener Modelle in Wissenschaft und Praxis erklären zu wollen ist unredlich. /ironie/ Ich kenne ja sogar Ärzte, die vor allem die Patienten erfolgreich behandeln wollen. Und noch schlimmer. Einige davon halten die Psychoanalyse für eine gute Behandlungsgrundlage ohne Vollidioten zu sein. /ironie/
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