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  • Leser2015

493 Beiträge seit 19.11.2015

Fokus auf Krankheitsmodelle stört – es fehlt ein Gesundheitsmodell der Psyche

Ehrlich gesagt wirkt die Forderung des geschätzten Autors unverständlich und manches im Artikel gar selbstwidersprüchlich, etwa dessen Ablehnung eines "im medizinischen Sinn" psychiatrischen Modells, während zugleich ausdrücklich festgestellt wird: "Bei sehr schweren Symptomen können Medikamente zudem Leiden lindern und ein selbstständiges Leben ermöglichen." (Stephan Schleim) Was denn nun?

Scheinbar soll ein biopsychosoziales einem biomedizinischen beziehungsweise medizinischen Modell gegenübergestellt und präferiert werden. Doch ist dieses biopsychosoziale Modell in Psychotherapien im heutigen Praxisalltag nicht ohnehin der vorherrschende Ansatz? Meistens sollen dort die gesamten Lebensumstände des Patienten, gegebenenfalls medikamentös flankiert, berücksichtigt werden, ohne im Therapieverlauf gegenüber dem Patienten eine isolierte medizinische Ursache benennen zu wollen.

Auch ein merkwürdig verengter Blick auf die Medizin erscheint absonderlich: "Das medizinische Modell ist für medizinische Erkrankungen angemessen. Hierfür gibt es in der Regel eine körperliche Ursache beziehungsweise einen körperlichen Krankheitsherd. Mit dessen Beseitigung verschwinden dann auch die Krankheitssymptome." (Stephan Schleim) Gemäß dieser Logik wäre bei Autoimmunerkrankungen das Immunsystem zu entfernen, denn mit der Ursache entfielen sofort auch alle störenden Symptome.

Vermutlich ist das ganze Leben in ein simples Erbe-Umwelt-Modell einzuordnen – und dessen genaue Ausgestaltung mit diversen Wechselwirkungen zwischen Genen und Umweltfaktoren noch weitgehend unerforscht. Dies wird die gesamte Persönlichkeit genauso betreffen wie Fähigkeiten, Neigungen oder körperliche und psychische Störungen, die ohnehin nicht immer klar voneinander zu trennen sind. Ein Mensch entwickelt eine Depression, andere bei vergleichbaren Lebensumständen nicht; einer erkrankt schwer durch Coronaviren, während andere eine Infektion nicht einmal spüren. Natürlich werden auch im Bereich der Psyche angeborene Immunkomponenten existieren, die unterschiedliche Resilienzen nach Schicksalsschlägen unter ähnlichen sozialen Bedingungen sowie Biographien erklären könnten.

Vielleicht sollte die Psychologie tatsächlich mehr Wert auf Störungsprävention legen, doch dazu wäre ein klares Modell des psychisch kerngesunden Menschen notwendig, auf dessen Basis sich dann (an die Medizin angelehnte) Konzepte für Check-ups oder für Vorsorgeuntersuchungen entwickeln ließen.

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