Angenehm, jemanden zu hören, der nüchtern über die aktuelle Situation spricht. Timofejews Sicht ist plausibel.
In meinen Augen hat Biden sich recht geschickt durch eine nicht einfache Aufgabe hindurchlaviert. Die Stimmung zuhause ist so russlandfeindlich wie schon lange nicht mehr, nicht etwa nur auf der republikanischen Seite, da vielleicht z. T. sogar weniger. Biden scheint - ich hoffe, der Eindruck täuscht nicht - bewusst zu sein, in was für eine Katastrophe für alle eine Eskalationstaktik führt.
Besonders gefährlich ist das Thema Cyberhacking. Schuldzuweisungen sind wohlfeil, Beweise kaum beizubringen. Der nato-Beschluss gegen einen vermeintlich als Urheber eines Cyberangriffs ausgemachten Staat auch assymetrisch vorzugehen, ist extrem gefährlich, geradezu ein Freipass für den Dritten Weltkrieg. Kaum ist der nato-Gipfel vorbei, erhebt Polen auch schon wieder Anschuldigungen... Es ist zu hoffen, dass Biden die Tragweite der Entscheidung bewusst ist und er entsprechend zurückhaltend agiert. An Provokationen aus dem eignen Lager wirds nicht fehlen.
In den Hammer kann Biden auch im Verhältnis zu China laufen. Die chinesische Regierung hat, ebenso unmissverständlich wie Russland im Bezug auf die Ukraine im Fall Taiwan klar gemacht, dass sie eine Unabhängigkeitserklärung der Insel keinesfalls tolerieren wird. Das ist auch nachvollziehbar, sie ist strategisch von unüberbietbarer Wichtigkeit. China betreffend ist die Stimmung in den usa wohl noch feindseliger als gegenüber Russland. Da einen Kurs zu finden, der die Chinesen nicht zum Äussersten treibt und gleichzeitig die westliche Megalomanie unter Kontrolle hält, ist objektiv ein Riesenproblem. Zumal damit das Eingeständnis verbunden ist, nicht mehr die absolute Vormacht zu sein, ökonomisch und militärisch. Das ist für Biden selbst, der seine formativen Jahre in einer anderen Ära erlebt hat schwierig und für diejenigen, die noch nicht aus dem Delirium der Neunziger aufgewacht sind, schier unmöglich.