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  • Prager Münzkonsortium

mehr als 1000 Beiträge seit 10.07.2022

Zwischen Fakt und Einsicht klafft in Putins Wahrnehmung noch eine Lücke.

Es ist so, wie Franz Alt schreibt. Der Krieg ist für Russland in jeder Hinsicht ein Desaster (für die Ukraine und den Westen by the way natürlich auch).
Ein Sieg im Sinne eines für Russlands vorteilhaften Ausgangs, der eine bessere Lage darstellt, als sie vor dem Krieg war, ist für Russland nicht mehr zu erreichen. Spielen wir es durch:
Das maximale, was Russland bei einer Fortführung erreichen kann ist die Eroberung einer weitgehend zerstörten, feindlichen Ukraine, in der man sich wohl andauernden Partisanenkämpfen gegenübersieht. Dazu kommt eine hochgerüstete, feindliche, geeinte NATO direkt an seiner Grenze - bis nach Skandinavien-, mit der es sich einen nicht zu gewinnenden Rüstungswettlauf liefern müsste. Keine Chance darauf die größten Kunden wiederzugewinnen oder das Sanktionen aufgehoben werden. Indien, China usw. werden natürlich weiterhin begeistert zu Discountpreisen sein Öl abnehmen, da Russland keine Alternativabnehmer hat.
Eine signifikante wirtschaftliche Entwicklung kann Russland aufgrund des Aderlasses an Talenten, der Technologiesanktionen und des unvermeidlichen Rüstungswettlaufs, nicht nehmen. Man fällt immer weiter zurück gegenüber Indien, China usw.. Die Menschenverluste, um dieses Ergebnis zu erreichen werden in den hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen liegen, also einem irrsinnigen Aderlass an Menschen, sowohl an Gefallenen, Verwundeten als auch vor der Diktatur Geflüchteten. Die Brutalisierung und Verrohung großer Teile der Bevölkerung kommt verschärfend hinzu und sorgt im Inneren für Probleme. Ob Russland in diesem Zustand in der Lage sein wird seine bisherigen Einflusszonen auch nur zu halten, ist zweifelhaft. Erste Absetzbewegungen zentralasiatischer Länder zeigen dies deutlich. Eine Weiterführung der Expansionspolitik endet zwangsläufig vor der NATO Grenze. Ein Überschreiten derselben wäre Selbstmord, da Russland es hier mit Nuklearmächten zu tun bekommt und selbst, da es nur aus zwei signifikanten Metropolregionen besteht, bei einem Krieg - auch einem konventionellen - hochverletzlich ist.
Welche Vorteile zöge Russland aus diesem "Sieg"? Außer vielleicht "emotionalen" sind hier keine großen Vorteile zu erkennen. Die Industrie- und Rohstoffregionen der Ukraine liegen schon jetzt weitgehend in Trümmern bzw. sind weltmarkttechnisch ohnehin nicht kompetitiv. Die Getreideanbaugebiete stellen kaum einen Wert dar. Mit einer feindlichen, überalterten hinzugewonnen Bevölkerung - da die jüngeren geflohen, gefallen oder geflüchtet sind - lässt sich sicher nichts anfangen, zumal die Brutalisierung und Verrohung der verbliebenen ebenfalls negativ wirkt.
Ein dauerhafter Waffenstillstand auf der gegenwärtigen Linie, geschweige denn der Annexionsgebiete, ist durch das eigene Verhalten - Butscha - nicht zu erreichen, da weder die Ukraine, noch der Westen die Annexionen akzeptieren werden. Jeder Waffenstillstand würde beidseitig nur dazu genützt werden, den nächsten Waffengang vorzubereiten. Daher wäre ein solcher Waffenstillstand sinnlos und daher unwahrscheinlich. Die Einzige, wenn auch geringe Chance auf einen solchen besteht aus dem Rückzug zumindest auf die Linie vor 2022, da nur bei Erreichen dieser eine gewisse Möglichkeit existiert, dass die Unterstützung der Ukraine durch den Westen eingestellt wird und die Ukraine so gezwungen wird einem Waffenstillstand zuzustimmen - innenpolitisch aber für Russland ein Gau, da man so viele Tote für Nichts geopfert hätte.
Die Träume, der Westen könne die Hilfe auf der jetzigen Annexionsbasis seine Waffenlieferung einstellen, sind nur Phantastereien. Einen wie auch immer gearteten russischen Vorteil aus der Invasion, wird der Westen generalpräventiv nicht akzeptieren, um ähnlichen Ausgriffen in der Zukunft vorzubeugen.
Auf der Seite des Westens, speziell der USA und Europas, stellt der Krieg auch ein Desaster dar. Die militärische Unterstützung kostet aber relativ wenig z.B. Deutschland ~2-3 Mrd €, was nicht einmal 1% des Bundeshaushalts ausmacht oder weniger als ein Tausendstel des BIPs. D.h. der Westen hat hier nicht einmal angefangen seine Kräfte zu mobilisieren, wohingegen Russland bereits in die Kriegswirtschaft geht. Dies erklärt sich durch die Wirtschaftskraft des Westens die diejenige Russlands um das mehr als 20fache übersteigt. Die Träume Russlands durch Erpressung mit Energielieferungen etwas zu erreichen sind ausgeträumt. So verzeichnet Deutschland weiterhin ein - zwar geringes - Wirtschaftswachstum, während Russland in eine obfuskierte Rezession/Depression abgleitet.
Man wäre aber natürlich froh, sich anderem widmen zu können - z.B. Energiewende -, wäre froh, wenn dieser Krieg zeitnah endete, denn trotz anderweitiger Behauptungen hat der Westen an diesem Krieg keinerlei Interesse / Vorteil, auch die USA nicht, die sich lieber auf den Pazifikraum fokussieren würden.

Ein freiwilliger Rückzug auf die Vorkriegslinien wäre der Status, bei dem Russland am wenigsten verliert und die einzige Chance auf ernsthafte Verhandlungen - auch mit dem Westen über die Rücknahme von Sanktionen. Sollte Russland durch Kämpfe auf diese zurückgeworfen werden, besteht diese Chance nicht, hier wäre maximal ein Waffenstillstand a la Korea zu erreichen, der weiter mit Sanktionen, westlichen Waffenlieferungen etc. behaftet bliebe.

Da leider Russland nicht bereit ist, dies zu akzeptieren und die Folgerungen daraus zu ziehen, werden die Kämpfe unglücklicherweise für Russland und die Ukraine zunächst wohl weitergehen.

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