Livius schrieb am 08.09.2024 12:40:
Um die Wirtschaft vor einem Absturz zu bewahren, könnte aus meiner Sicht versucht werden, qualitative Indikatoren Schritt für Schritt und über einen längeren Zeitraum einzuführen.
Und wenn die Politik dann sieht, dass eine Orientierung am BIP immer weniger dafür taugt, quantitatives Wachstum zu befördern, wird sie sich auch immer weniger daran orientieren. Denn wie gesagt, Wachstum ist alles in einer kapitalistischen Welt. Daran ist nicht zu drehen, auch nicht durch kreatives Umlabeln von irgendwas. Solange man im Kapitalismus lebt, ist man zum quantitativen Wachstum verdammt - sonst droht der Absturz. Und den möchte kein Politiker verantworten.
Und marktwirtschaftliche Mechanismen sind sehr anpassungsfähig - wenn in Fällen auftretenden Marktversagens der Staat regulierend eingreift.
Es ist nicht "der Markt", der den Kapitalismus kennzeichnet. Märkte gab es auch schon früher, also vor der Industrialisierung, als noch gar nichts wuchs. Bereits in der Antike gab es Märkte, ach was, sogar schon bei den Mesopotamiern. Die hatten übrigens auch schon das Kreditgeld von heute, und zwar in Form von Wechseln und Zahlungsverpflichtungen. Neu am Kapitalismus (seit ca. 1760) ist, dass Geld in technischen Fortschritt investiert wird, um die Produktivität zu erhöhen und später Gewinne rauszuziehen. Dabei entsteht Wachstum: Immer mehr Kram, immer effizienter hergestellt, für immer mehr Menschen immer erschwinglicher, und zum Schluss laufen wir alle mit einem Hosentaschencomputer durch die Gegend, der weltweite Kommunikation ermöglicht und eine Rechenleistung aufweist, die vor nicht allzu langer Zeit ausgewachsenen Großrechnern vorbehalten war. Der Pferdefuß dabei: Die Maschinen brauchen Energie, und zwar reichlich davon, tendenziell immer mehr - wir wollen bzw. müssen ja wachsen. Diese Energie fiel uns in den Schoß, in Form von fossilen Brennstoffen, weshalb sich der Kapitalismus bis heute überhaupt entwickeln konnte, bis hin zu deinem Smartphone. Doch nun geht die fossile Nummer nicht mehr, und mit regenerativer Energie lässt sich die Wachstumsmühle nicht befeuern, keine Chance. Das Füllhorn fehlt ganz einfach.
"Der Markt" versagt übrigens auch nicht, ganz egal, ob in einer stagnierenden Agrarwirtschaft oder im Spätkapitalismus. Markt ist einfach Markt, und wenn er gelegentlich Effekte zeitigt, die man für nicht so wünschenswert hält, dann hat er keineswegs versagt, sondern er hat die Erwartungen derer gerade mal nicht erfüllt, die ihn irrtümlicherweise für eine minimalinvasive, gewissermaßen "natürliche" und smarte Regulierungsinstanz halten.
Außerdem würde eine glücksorientierte, sozial-ökologische Marktwirtschaft auch ohne Kapitalismus funktionieren
Aber ja, natürlich! Nur sind wir jetzt wieder am Anfang: Die Frage ist doch, wie wir aus einem sich immer schneller drehenden Karussell herauskommen!
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (08.09.2024 19:59).