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Avatar von light_of_truth
  • light_of_truth

180 Beiträge seit 27.07.2006

ein Erfahrungsbericht

Mich hatte es im Sommer 2015 in so einen Hort der Wissensvermittlung verschlagen. Am Donnerstag noch auf dem Amt gewesen und Montag früh 07:00 Uhr sollte es in der 25km entfernten Kleinstadt losgehen. Acht Wochen Bewerbungstraining mit hervorragenden Erfolgsaussichten. Und das nach dem die Tante vom Amt schon mal über meine (extra fürs Amt geschriebene und zwangsweise vorgelegte) Bewerbung erstaunt war, entsprach diese doch voll den Anforderungen nach DIN 5008. Egal - das Bewerbungstraining muss sein, da halfen keine Argumente. Sie hätte sonst nichts für mich.
Also, Montagfrüh mit dem PKW dahin gegondelt. 45min Fahrzeit. Mit den ÖPV hätte das hier in der Provinz von Haustür bis Bildungsbutze inkl. Wartezeiten beim Umsteigen 2,5 Stunden gedauert. Das ist nicht das Problem, die Fahrzzeit hätte ich auch gegebenenfalls zu einer Arbeitsstelle dort benötigt, allerdings in dem Fall Geld fürs Arbeiten bekommen und nicht nur eine Erstattung der Fahrkosten. Auf dem Heimweg natürlich nochmal 2,5 Stunden Zeit vertrödelt.
Am ersten Tag früh 07:00 Uhr da rein gesetzt. Insgesamt waren da 12 Mitgefangene anwesend. Alter war gut gemischt. Von 27 bis 59, 50% Männlein, 50% Weiblein. Und ein bekanntes Gesicht gesehen. Nun gut, mal abwarten was da kommt. Die Referentin erklärte erstmal den Ablauf. Acht Wochen Anwesenheitspflicht von 07:00 - 16:00 Uhr. Ausfall durch Krankheit wird hinten dran gehangen. Einzigster Grund die Veranstaltung zu verlassen ist eine Arbeitsaufnahme. Soweit kein Problem. An diesem Tag gabs noch allerhand Belehrungen, z.B. Verhalten im Brandfall, Alkoholverbot, Meldepflicht bei Verhinderung, allgemeine Verhaltensregeln im Gebäude, Vorschriften zur Nutzung der an jedem Arbeitsplatz vorhandenen Rechner. Dann das übliche Geblubber wie gut und erfolgreich man doch als Bildungsunternehmen sei. Man arbeite ja auch mit sehr vielen Unternehmen der Region seit vielen Jahren eng zusammen so das die Erfolgsaussichten auf einen Arbeitsplatz ausgezeichnet seien. Dann folgte noch ein allgemeines Kennenlernen der Mitgefangenen. Mit anderen Worten, ein recht entspannter Tag. Als Hausaufgabe sollten wir bis zum nächsten Tag ne Bewerbung fertig machen und vorlegen. Alles easy. Abends den Rechner hochgefahren und das Ding ausgedruckt. Nicht ganz 2 Minuten und die Hausaufgabe war erledigt. Am nächsten Morgen Punkt 07:00 Uhr erschien die Referentin und glich die Anwesenden mit ner Liste ab. Ab dann wurde es interessant. Abgabe der Bewerbungen. Da war von losen Blättern, bis handgeschrieben auf Karopapier alles dabei. Soweit war genau das auch zu erwarten gewesen, viele der älteren Mitgefangenen brauchten die letzten 25 Jahre keine Bewerbnug schreiben, woher sollten sie es besser wissen. Ich hab wieder eine DIN 5008 Bewerbung vorgelegt.
Die Referentin gab uns anschließend ein paar, in meinen Augen sinnfreie Aufgaben für die kommenden 3 Stunden. Dazu später mehr.
In der Zeit musste jeder von uns zu einem persönlichen Beratungsgespräch in ihrem Büro antreten. Sie sieht sich meine Bewerbung an und sagt: " Was wollen sie hier. Das was sie da vorgelegt haben ist genau das Ziel der 8 Wochen". Kein Problem sagte ich und wollte mich verabschieden. Nee-Nee, geht nicht wegen Anwesenheitspflicht. So langsam kamen mir erste Zweifel.
Nach diesen Gesprächen gings los mit sehr unbeholfenen Versuchen den absolut Unerfahrenen in Sachen Computer erste Schritte beibringen zu wollen. Nach ner halben Stunde hab ich mein Gehirn bis zum Feierabend auf Stand-By geschalten.
Ab jetzt kann ich hier glücklicherweise stark abkürzen. Ab da glich ein Tag dem anderen. Immer das selbe Drama, jeden Tag.
07:00 Uhr Kontrolle der Anwesenheit, dann ca. eine Stunde Anleitungen zur Bedienung des Rechners und Einführung ins MS Word Tipps zum Schreiben einer Bewerbung. Anschließend gabs jeden Tag ein paar Aufgaben für etwa eine Stunde, fast alle Teilnehmer waren meistens nach 15min fertig, aus so einem Buch das ich mittlerweile zur heiligen Bibel der Bildungsbutzen zähle. Das Ding nannte sich "Testtrainer". Inhalt laut Beschreibung im Buchhandel: "Für alle Themenbereiche: Allgemeinwissen, Rechtschreibung und Grammatik, Sprachverständnis, Mathematik, Logik, technisches Verständnis, visuelles Denkvermögen, Konzentration, Merkfähigkeit, Persönlichkeitstest, Kreativität und viele mehr".
Jeden Tag etwa 15 Fragen, hauptsächlich aus dem Bereich Allgemeinwissen. War wohl eher so ein Hobby der Tante vorne am Pult. Da kann man machen was man will, spätestens nach einem Tag macht das keinen Spass mehr. Das taugt nicht mal mehr als Gegenmittel zur Langweile. Wir haben irgendwann angefangen die allmorgentlichen Fragespielchen zu einem Wettbewerb zu machen. Derjenige der die wenigsten Fragen richtig beantwortet hat musste dem Tagessieger nen Kaffee ausgeben. Das war doch mal ne Motivation.
Nach der täglichen Früstückspause kam dann genau nichts mehr. Absolut nichts. Selbststudium nannte sich das dann. Keine Vorträge, keine Tipps zur Bewerbung, nur ne Menge Zeit. Und die Tante verkroch sich in Ihrem Büro. Keine Ahnung was die den ganzen Tag dort getrieben hat. Ich hab dann angefangen meinem Platznachbarn einen Grundkurs im Umgang mit Computern zu geben. In Laufe der Zeit erhöhte sich der Kreis der Zuhörer auf fünf Mitgefangene. Die waren alle jenseits der 50 und hatten keinen Rechner zuhause. Am Ende haben sie sogar ne recht ansehliche Bewerbung hinbekommen. Genau betrachtet hätte ich der Tante ihr Gehalt dafür bekommen müssen.
Eines Tages gabs etwas Abwechslung. Wir bekamen jeder einen Bleistift, ein Lineal, ein Blatt Karopapier, ein Blatt Bastelkarton, einen Edding, einen Klebestift und eine Schere inkl. Belehrung zu deren sicheren Gebrauch. Aufgabe war innerhalb einer Stunde einen Würfel aus der Pappe zusammen zu kleistern und die Augen des Würfles richtig aufzumalen. Meine Fresse, die anspruchsvollste Aufgabe seit Wochen.
Dann, täglich und pünktlich 16:00 Uhr erschien die Bildungsfee wieder mit den Anwesenheitslisten. Vor der Flucht Richtung Heimat mussten wir wieder unterschreiben.
Jetzt noch kurz was zu dem Anfangs bereits erwähneten, mir bekannten Mitgefangen.
Ich wusste das er mit seinen 58 Jahren bereits einen Herzinfarkt hinter sich hatte. Die entsprechenden Atteste hatte er der Bildungsfee auch vorgelegt. Arbeitsunfähig war er zu der Zeit nicht. Sie meinte nur die Kollegin die diese Sachen im Auftrag der Arbeitsagentur bearbeitet sei im Urlaub. Sobald sie wieder da sei nehme man sich seines Falles an. Während der acht Wochen erreichten ihn weitere Befunde und Bescheide seiner Ärztin und Rentenversicherung die er sofort weitergeleitet hat. Kaum war der Urlaub der genannten Kollegin vorbei war sie auch schon wieder krankgeschrieben. Mein Bekannter wollte aber nun endlich eine Entscheidung in seinem Fall haben. Da hieß es, das bearbeite nur die Hauptgeschäftsstelle und man habe schon um einen Vororttermin gebeten. Der Termin kam dann auch zu Stande, genau am letzten Tag des Ausfluges ins Bildungswesen. Und da erfuhr mein Bekannter das nach Prüfung aller Unterlagen feststeht, das er dem Arbeitsmarkt aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr zur Verfügung steht und er nicht mehr vermittelbar sei. Er solle doch einen Rentenantrag stellen. Hier gehört er jednefalls nicht hin. Ich dachte er bekommt jeden Moment einen weiteren Herzinfarkt. Die Auskunft hätter er schon am ersten Tag bekommen können. Die Unterlagen waren lange genug da. Aber dann hätte die Bildungsbutze für ihn keine Kohle von der Arbeitsagentur bekommen und ein Platz wäre leer geblieben.
Übrigens hat keiner in den acht Wochen einen Arbeitsstelle gefunden. Trotz der "erfolgreichen Zusammenarbeit mit vielen Unternehmen der Region". Im nachhinein wurde auch mir klar das das nicht das Ziel der Veranstaltung war. Im Gegenteil, man wollte die 12 Teilnehmer so lange es geht da behalten und kassieren.
Die meisten Teilnehmer haben übrigens am Tag in der Bildungsbutze mehr oder weniger sinnvolle Bewerbungen, wo es sicher schien das es wegen fehlender Voraussetzungen nie zu einer Einstellung gekommen wird geschrieben, zur Kontrolle vorgelegt und abgeschickt. Die wirklich erfolgversprechenden Bewerbungen haben fast alle abends Zuhause geschrieben und ohne Wissen und Zutun der Bildungsbutze versandt.
Nach dem Ende der Tortur bekam ich von der Arbeitsagentur ein Schreiben mit der Bitte diese Maßnahme mit meinen Worten zu beschreiben und zu bewerten. Hab ich natürlich gern gemacht. Wie die Bewertung ausfiel kann sich der geneigte Leser anhand oben stehender Worte leicht ausmalen. Das ganze noch per Mail an die im Schreiben vermerkte Maildresse und per Post direkt an die Agentur geschickt. Beim nächsten Termin mit der Tante vom Amt fragt die mich doch wie es war und ob ich was gelernt habe. Verwundert verwies ich auf meinen zweifach versandten Bericht. Den kenne sie nicht, sie werde aber nachforschen wo er abgebleiben sei. Mein Bericht an die Agentur tauchte natürlich nie wieder irgendwo auf.

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