"Sonst geht es bei der nächsten Ausnahmesituation genauso weiter."
Das hoffe ich doch.
"Am Morgen des 24. August 1892 kam Robert Koch, der von seinem Berliner Laboratorium angereist war, am Bahnhof in Hamburg an. Er war der berühmteste Mediziner Deutschlands und hatte bereits den Lebenszyklus des Milzbranderregers erforscht und den Bazillus identifiziert, der Tuberkulose verursacht. In den achtziger Jahren war er nach Ägypten und Indien gereist, wo es ihm gelang, das Cholerabakterium zu isolieren, und bei seiner Rückkehr nach Berlin war er gefeiert worden, vom Kaiser mit dem Kronenorden ausgezeichnet und mit der Aufgabe betraut, das Kaiserreich gegen Epidemien infektiöser Krankheiten zu schützen.
Neun Tage vor Kochs Ankunft in Hamburg war ein Arzt im benachbarten Altona zu einem erkrankten Bauarbeiter gerufen worden, zu dessen Tätigkeiten es gehörte, die Kloaken zu inspizieren. Der Mann litt an akutem Erbrechen und Durchfall; die Diagnose lautete: Cholera. Als erstes Zeichen der sich nun entwickelnden lokalen Kontroverse (die tödliche Folgen haben sollte) lehnte es der Vorgesetzte des Arztes ab, diese Diagnose zu akzeptieren. Vom 16. bis 23. August wuchs die täglich gemeldete Zahl neuer Fälle exponentiell: zwei, vier, zwölf, 31, 66, 113, 249, 338. Am 27. August waren 1 024 Fälle und 414 Tode gemeldet worden; im Verlauf der nächsten sechs Wochen starben etwa zehntausend Einwohner Hamburgs. Die Epidemie, die wie ein Waldbrand durch dürres Holz raste, erlosch schließlich im Oktober, ein Ende, zu dem Koch und sein Team beigetragen hatten.
Wie wir heute wissen, wären diese Todesfälle ganz und gar vermeidbar gewesen. Die unmittelbare Todesursache war Vibrio cholerae, aber die städtischen Behörden waren Komplizen der Massensterblichkeit, da sie sich lange geweigert hatten, öffentliche Gelder in die Gesundheitsversorgung zu investieren, und nun befürchteten, ein öffentliches Eingeständnis der Cholera – mit der zwangsläufig folgenden Quarantäne und Isolation – würde ihre Handelsstadt zum Stillstand bringen. In Altona, gleich hinter der Stadtgrenze, gab es nur wenige Infektionen; in Hamburgs Schwesterhafen Bremen, einer ebenfalls sich selbst verwaltenden einstigen Hansestadt, gab es nur sechs Fälle, die Hälfte davon soeben aus Hamburg Zugereiste. Hamburg litt allein in diesem Jahr."
(Lettre International 129, Alex de Waal, PATHOGEN UND POLITIK)