Timo Rieg schrieb am 14.04.2023 23:48:
Ich finde es vollkommen daneben, sich mit dieser Begründung vom Bemühen um Objektivität und Sachlichkeit im Journalismus verabschieden zu wollen.
Das wollte ich ganz und gar nicht. Und darf dazu auf meine hier veröffentlichte umfangreiche Serie zum "Corona-Journalismus" verweisen, konkret Teil 6:
Meine Einordnung hier ist als Angebot zur Meinungsvielfalt zu verstehen, so hat es auch Herr Neuber gesehen.
Es liegt eben im ZEIT-Beitrag kein einziger Hinweis auf tatsächliche Einflussnahme vor. Dass sich Verleger aus dem Tagesgeschäft der Redaktionen heraushalten sollten, dürfte von praktisch allen relevanten Verlegern so gesehen werden, auch Döpfner hat sich gerade so geäußert. Aber sie bestimmen natürlich die politische Linie, dazu bestellen sie u.a. die Chefredakteure. Die Zitate der ZEIT stammen wohl aus der Kommunikation mit Chefredakteuren (überwiegend mit einem, wie wohl sehr zutreffend gemutmaßt wird, weil er erstaunlich positiv weggkommt (was - wiederum kritikwürdig - bisher kaum aufgegriffen wird, weil es dem bisherigen Narrativ mit Faktenandeutungen widerspricht).
Döpfner ist nun von vielen Medien (die überwiegend nur die ZEIT-Zitate kolporiteren) angezählt worden, entsprechende Versuche gab es auch früher schon. Wir machen uns in der Journalistik viele Gedanken um Medienethik. Dazu sollte auch gehören, welche Auswirkungen es hat, wenn Leitungspersonen jederzeit damit rechnen müssen, dass ihre interne Kommunikation - in interessengeleiteten Auszügen - veröffentlich wird.
Die Leitungsposition bringt es automatisch mit sich, dass er sich fragen lassen muss, ob er die Artikel beeinflusst oder nicht. Das ist eine ganz normale Fragestellung, die erstmal grundsätzlich im Raum steht. Wie man weiß, wird diese Machtposition auch immer wieder mal von Verlegern ausgenutzt in einer Weise, die vorsätzlich die öffentliche Meinung beeinflussen und auch manipulieren soll. Damit ist das Thema automatisch in einer Demokratie im Fokus des öffentlichen Interesses.
Die Unschuldsvermutung gilt an dieser Stelle im demokratischen Diskurs entsprechend nicht grundsätzlich, auch weil es sich um einen Grenzbereich handelt: Die vorsätzliche Verbreitung von Falschinformationen oder Falschdarstellungen steht zum Beispiel nicht allgemein unter Strafe, weshalb aber dann auch diskutiert werden können muss, ob jemand unzulässig und wiederholt in die öffentliche Meinungsbildung eingreift. Diese Art der genannten (Straf-)"freiheit" bedingt sozusagen andere Formen von Verantwortung, mit der man sich in einflussreichen Positionen belästigen lassen muss. Wesentlicher Punkt ist beispielsweise das Problem der "Befangenheit", das im Rechtsverfahren eben auch wegen dem Bestehen von "Freiheiten bei der Entscheidung" beachtet werden muss. Auch ein Richter muss sich also bestimmte Fragen gefallen lassen, selbst wenn er das privat als unangenehm empfinden mag.
Für die zentrale Kritik des ZEIT-Artikels bräuchte es doch wohl eine Unterfütterung eben aus der Analyse des Springer-Journalismus. Da wäre ich sofort dabei. Aber dazu ist bisher nichts zu vernehmen. Deshalb habe ich danach gefragt: wo hat Döpfner in illegitimer Weise die Berichterstattung von Welt oder BILD nach seinem Gusto beeinflusst? DAS wäre doch die Enthüllung - und nicht, dass "launige Sprüche", unter Kumpeln oder (Geschäfts-)Freunden geäußert, publik werden.
Ich denke, das wurde impliziert - wer täglich die Schlagzeilen liest weiß eigentlich schon, was unter der Kritik konkret verstanden wird. Andererseits stimme ich Ihnen zu, dass man so etwas immer konkret nachweisen und nicht im Nebel lassen sollte. Denn nicht jeder verfolgt die Berichterstattung der Bildzeitung.
Aber wenn man sich das ansieht, bleiben unter dem Strich eben einige einflussnehmende "Schieflagen", welche die BILD über die letzten Jahre angesammelt hat und die sichtbar aus dem Durchschnitt hervortreten. Dabei ist die aufstachelnde Berichterstattung gegen Klimaaktivisten noch etwas, das man als BILD-typisch einordnen kann - so ist die BILD eben. Schwieriger wird es schon bei der Kritik an der AfD, die erstmal extrem stotternd in Gang kam und da wurde die BILD zum Beispiel vom Merkur (auch kein Kind von Traurigkeit) deutlich überholt. BILD "hätte" sich da schon über Jahre am Merkur orientieren können, das hat man aber unterlassen. Dass Döpfner mittlerweile besorgt ist über den Erfolg der AfD, ist da schon ein Lichtblick. Aber seine Begeisterung für Trump offenbart andererseits, dass er mit demokratischen Grundprinzipien "vollkommen überfordert" ist und damit dummerweise auch hinsichtlich der Beurteilung des politischen Weltgeschehens, ob nun im In- oder Ausland. Diese Überforderung war auch Kennzeichen der BILD-Berichterstattung über Merkel, die vor allem in wesentlichen Punkten extrem problematisch war, was wohl auch die anfänglichen Abgrenzungsschwierigkeiten zur AfD bedingt hat. Einige Entscheidungen von Merkel, die staatsrechtlich mehr als einwandfrei und sogar verfassungsrechtlich geboten waren, wurden von der BILD offen und immer wieder in hetzerischer Weise in Frage gestellt (Flüchtlings- und Sozialpolitik etc.). Und das war alles andere als ein Kavaliersdelikt für eine Zeitung unter unserem Grundgesetz. Die BILD hat mit dieser Dummheit der AfD regelrechten Zulauf beschert.
Wenn Döpfner also heute immerhin besorgt ist, dann könnte er sich schon auch an die eigene Nase fassen und mal darüber nachdenken, dass er leider zu der Entwicklung vielfach beigetragen hat. Seine Polemik in diese Richtung zeigt allerdings, dass er zwar seine anfängliche Meinung geändert hat, aber immer noch überfordert ist.
Sich nicht gemein zu machen mit einer Sache, auch wenn sie für gut gehalten wird (nach Charles Wheeler, in Deutschland immer https://www.spiegelkritik.de/2015/09/23/zitate-korinthe-80/ Hanns Joachim Friedrichs zugeschrieben) verlangt eben auch, sich nicht journalistisch über jemanden zu ereifern, nur weil man ihn für einen Unsympathen hält.
Das gilt für alle Perspektiven: einen "unsympathischen" Kritiker überzogen zurück zu kritisieren und dahingehend mit zweierlei Maß zu messen, ist ebensowenig ausgewogen - das vergessen viele allerdings schnell.
Ich sehe journalistische Verantwortung nicht anders als Verantwortung in der Wissenschaft: Man betreibt noch keine Wahrheitsfindung alleine dadurch, dass man lediglich zwei Pole gegenüber stellt, sondern man muss sich immer um "alle" bedeutsamen Perspektiven kümmern. Und das sind erfahrungsgemäß oftmals deutlich mehr als nur "zwei". Jedenfalls ist das meine Erfahrung als Wissenschaftler.
"Ich bin dagegen, weil Du dafür bist", begründet noch keinen wahrheitsfindenden Diskurs. Und nur weil mein Diskurspartner etwas nicht konkret ausführt, bedeutet das nicht, dass seine Hinweise automatisch unsubstanziiert sind. Als Wissenschaftler muss ich mich schon auch selbst um die Wahrheit bemühen und nicht einfach bequem die Wahrheitsfindung dem Diskurspartner vollumfänglich anlasten.
MFG/Z
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.04.2023 02:07).