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  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Es gilt keine Unschuldsvermutung für Herrn Lindemann

Nein, natürlich nicht. Aber wenn Chaplin einer Nazi-Partei beigetreten wäre, dann schon.

Lindemann betätigt sich ja hier auf einem Feld, das auch ein zentrales Thema seiner Texte ist ("Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr"). Die von den Frauen geschilderten (Sex-)Szenen wirken wie eine Umsetzung von Fantasien von gewalttätigem Sex, die Fantasien hätten bleiben müssen- sonst kompromittiert das auch Lindemanns Kunst. Das gilt unabhängig von der juristischen Bewertung.

Künstler müssen keine Heiligen sein. Aber das was Lindemann macht wäre in etwa so, als wenn Falco "(Jeanny") wirklich ein Stalker gewesen wäre, Oomph! ("Augen auf") im echten Leben Kinder zu "Geburtstagspartys" einlädt oder Casper ("Lang lebe der Tod") wirklich Menschen ausweidet.

Das Thema der "strukturellen Gewalt" spielt bei allen Missbrauchstatbeständen eine Rolle, insbesondere bei Kindern. Das heißt aber nicht, dass es das bei Erwachsenen nicht gibt und dass es in Ordnung ist, die Annahme der Einladung zu einer Party als implizites Einverständnis zum Sex mit dem dem Gastgeber zu werten.

Es geht nicht darum, ob es objektiv möglich war zu gehen, sondern darum, ob die Betroffenen das auch erkennen konnten und es ihnen angeboten wurde. Sonst ist es keine echte Wahl mehr. Auch ein Geiselnehmer mit einer Spielzeugpistole ist ein Geiselnehmer - selbst wenn der Entführte objektiv einfach aufstehen und gehen könnte.

Und das "Da gehe ich doch nächsten Tag zur Polizei" ist schon reichlich naiv - es gehört Mut dazu, so etwas nicht einfach für sich zu behalten, sondern anzuzeigen, denn das kann schnell zum Spießrutenlauf für die Opfer werden - "Will sich nur wichtig machen", "hat's doch nicht anders gewollt", "Schlampe". Wer sich das ersparen will vergisst die Sache lieber ganz schnell. Es braucht oft Zeit, um überhaupt richtig zu erkennen, dass einem Unrecht angetan wurde und das man eben nicht "selber schuld" ist. Bevor man es überhaupt für möglich hält, dass man auf einer Rammstein-Party KO-Tropfen verabreicht bekommt, ist die Droge längst wieder aus dem Körper verschwunden. Warum fallen wir nach Metoo und all den Missbrauchsskandalen bei Rammstein wieder in all die alten Muster zurück? Lindemann muss nicht beschützt werden, er gibt weiter Konzerte vor ausverkauften Hallen während die betroffenen Frauen Morddrohungen bekommen.

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