Irgendetwas ist doch da nicht stimmig...
Es werden Bahn-Bruttopreise mit Flug-Nettopreisen verglichen, d.h., wo bei der Bahn der Endpreis steht, kommen bei den Flügen noch Steuern und Gebühren obendrauf. Den Flug zu 9,99€ gibt es doch schon lange nicht mehr, da alleine der Steueranteil und die gerade im Zuge der Pandemie oftmals um bis zu 300% gestiegenen flughafenspezifischen Gebühren nahezu keinen Flug für unter 50€ mehr ermöglichen. (Und den dann auch nur von Mini-Provinzflughafen zu Mini-Provinzflughafen mit No-Frills-Airline Marke Ryanair, wo jedes kleine Extra sofort mit massig Kosten zuschlägt. Oder muss demnächst bei der Bahn auch noch ein Gepäck-Aufschlag, eine Boarding-Gebühr (wobei es ja mittlerweile schon "Schalteraufschlag" gibt...), eine Vordrängel-fee (nicht Sitzplatzreservierung!), womöglich gar die Toilettenbenutzung zusätzlich bezahlt werden...?)
Somit werden hier zusätzlich zwei völlig unterschiedliche Servicelevel verglichen...
Auch bei den Kilometern muss man bedenken, dass der Zug in den seltensten Fällen direkt von A nach B fährt - und wenn dann zusätzlich übermäßig bepreist wird -, sondern Umsteigeverbindungen auch hier völlig normal sind. Wurde dies beim Kilometervergleich berücksichtigt, oder hat man für die Bahn etwa so berechnet, "wie der Vogel fliegt"? Was der Flieger kann, kann der schienengebundene Zug im vertakteten Netz mit Teilstrecken-Zu- und Ausstiegen noch lange nicht...
Über die z.T. doch recht "bizarre" Streckenauswahl will ich mich mal nicht weiter ereifern...
Der Absatz
Auf den 112 analysierten Strecken werden nur 23 Zugfahrten angeboten, die billiger sind als die Flüge, wovon aber nur die Hälfte akzeptable Bedingungen aufweist. Die andere Hälfte wird von schlechten und langsamen Zügen bedient, wie die Verbindung Tallinn-Riga oder Warschau-Ljubljana. Auf 16 dieser 23 Strecken fliegen keine Billigflieger, sechs haben keine Direktverbindung.
fällt besonders ins Auge, weil weder die "akzeptablen Bedingungen" definiert werden, noch Berücksichtigung findet, dass es oftmals auch keine Direktverbindungen bei den Bahnstrecken gibt. Äpfel und Birnen, oder so...
Und ist nicht die Feststellung, dass es keine Billigflieger auf den betrachteten Strecken gibt eher die Intention von Autor und Studie konterkarierend, die ja eigentlich eher in Richtung weniger Flugverkehr, mehr Bahn geht?! Also doch lieber erschwingliche Flüge durch Billiganbieter, weil die Bahn keine "akzeptablen Bedingungen" zum "Billigpreis" anbieten kann oder will?
Beim Umweltfaktor darf man auch den Faktor der baulichen Infrastruktur nicht unberücksichtigt lassen, der im Falle eines Airports (und da sind die meisten eher Um- und Ausbauten bestehender, zuvor meist militärischer, Flughäfen) nicht außer Acht lassen, wo die Bahn mit ihren Schienenkilometern und Bahnhöfen / Haltestellen an jedem noch angedienten Ort deutlich mehr Fläche und Beton, aber auch Betriebsenergie benötigt. Es ist ja nicht nur der Bahnstrom (oder zu weiten Teilen immer noch Diesel), der in der Klimabilanz zu Buche schlägt, sondern eben auch der für die Produktion von Infrastruktur und Betriebsmaterial nötige Aufwand. Wird gerne Vernachlässigt. Und den Carbon-Verbundstoff-Zug möchte ich mal sehen. Wo die Flugzeuge mittlerweile fast nur noch aus diesem leichten und energieeffizient herzustellenden Material bestehen, setzt der Waggon- und Triebwagenbau immer noch auf Eisen, Stahl und Aluminium.
Und ob ein fast leerer Zug, der gesetzlich verpflichtend rollen muss, ob ökonomisch sinnvoll oder nicht, für den auf allen, auch mangels Buchung nicht benötigten Zwischenhalten die komplette Infrastruktur vorgehalten werden muss, tatsächlich soviel (umwelttechnisch) effizienter ist, als ein vollbesetzter Flieger, sollte vlt. auch mal näher durchdacht werden.
Auch das Argument, dass sich ja ohnehin nur Reiche Flüge leisten könnten führt eigentlich den Tenor des Artikels ad absurdum, weil sich dann ja noch weniger als diese 4% der Weltbevölkerung die Alternative Bahnauslandsreise aufgrund der dafür noch höheren Preise leisten können.
Das Problem mit der abschließenden Forderung nach niedrigeren Bahnpreisen (wobei die Bahn im Gegensatz zum Flugverkehr tatsächlich direkt hoch subventioniert wird, während bei letzterem ja stets nur der "Steuerverzicht" angemahnt wird, der aber bei den Ticketsteuern nicht wirklich gegeben ist, weil hier vieles eben als "Gebühr" und "Abgabe" erhoben wird, was letztlich die Funktion einer Steuer hat, und beim Kerosin auf internationalen Vereinbarungen beruht, die man noch schwerer umgehen kann, als bei der Cannabis-Legalisierung) ist einfach, dass der Betrieb der Bahn mit all ihrer Infrastruktur, ihrem Rollmaterial und dem Gemeinversorgungsauftrag immer deutlich teurer sein wird, als der Luftverkehr, der primär punktuelle Kosten hat, die er auch noch stärker querfinanzieren (v.a. über stärkere Leistungsdiversifikation auf zig Akteure (Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Abfertiger, Retail, ...) und umlegen kann, als der Pseudo-Staatsbetrieb DB-AG, der "alles aus einer Hand" anbietet.
Letztlich aber reibt sich der Artikel nolens volens an dem bias zwischen sozialer und umweltpolitischer Ideologie auf, wenn man zwar "klimaneutrales" Reisen ermöglichen will, aber dann wieder die "Armen" nicht davon ausschließen will. Als Fazit könnte dann jedoch genausogut stehen: "Zukünftig werden sich halt statt 4% klimaschädlich Auslandsflugreisende der Weltbevölkerung nur noch 1% klimagerechte Bahnreisen nach dem Ausland leisten können." Denn um armutsgerechte Bahnpreise zu ermöglichen (3€-Tageskarte 🤣) müssen halt die "Vollzahler" noch mehr drauflegen, bis sie auch zur berechtigten Armutsklasse werden oder die Bahn mangels Erhaltungs- und Betriebsbudget den Betrieb einstellt... Klappt für ein paar Monate bis Jahre, endet aber im, nicht nur verkehrstechnischen, Fiasko.
P.S.
Übrigens war ja für Mehdorn & Co. jahr(zehnt)elang gerade der US-amerikanische Schienenverkehr (AMTRAC etc.) eher Vorbild als Abschreckung, genau wie die "erfolgreiche" Privatisierung der britischen (und tlw. niederländischen) Bahn. Wenige ausgesuchte Prestige-Strecken zu astronomischen Preisen, weil mehr können und wollen wir auf Kosten unserer Boni und Gewinnmargen nicht aufwenden. (Nur hat man leider vergessen, dass zumindest in den USA noch ein hoher Anteil an Querfinanzierung durch den Güterverkehr läuft, den man hier ja eher als ungeliebtes Anhängsel und Stiefkind betrachtet (hat).)