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  • van Grunz

mehr als 1000 Beiträge seit 27.12.2007

Der Autor erscheint mir selbst nicht besser als das, was er kritisiert

Wie man jemanden "denunzieren" kann, der vor hunderten Fahrgästen eine öffentliche Aussage tätigt, wissen die Urheber der Beiträge wahrscheinlich ebenso wenig, wie ihnen verständlich ist, dass die alliierten Bomben im Jahr 1945 eine Nation aus Mitläufern und Mittätern, die das Naziregime erst ermöglicht haben, dorthin befördert haben, wo sie hingehört - und bleiben wird.

Harter Tobak. Für mich liest sich das wie folgt:

"Die Bomben haben Mitläufer, Mittäter und das Naziregime in den Tod befördert, wo sie hingehören."

Jemandem den Tod zu wünschen, ganz gleich, was er für eine Gesinnung hat, ist mindestens schlechter Stil und hat in einem journalistischen Artikel, auch wenn er als Kommentar markiert ist, überhaupt nichts zu tun. Das ist Verrohung vom Feinsten.

Nicht Jeder hat das Naziregime unterstützt, ergo sind auch Bomben auf Widerstandskämpfer und Unschuldige gefallen. Den Sprengkörpern ist es völlig egal, wen oder was sie zerstören.

Der Autor hätte lieber mal erwähnen sollen, daß die von den Alliierten abgeworfenen Bomben gezielt die für die Kriegsmaschinerie wichtige Firmen verschont haben, welche in der Nachkriegszeit als "Wirtschaftswunder" gefeiert wurden -- mit Hilfe von Schuldenerlassen und Protegierung allen voran den USA. Unter diesem Aspekt betrachtet erscheint der Artikel in einem grotesken Licht, der sich selbst dem Vorwurf des Populismus zu erwehren hat.

Bedenkt man weiters, daß gerade jetzt die Debatte über Rechtsradikalismus hoch kocht wegen dem ermordeten Staatsmann, was man von Anfang an einem mutmaßlich Rechtsradikalen angelastet hat, so wird eine Tendenz deutlich: die Bürger sollen sich in Debatten über Rechtsradikalismus ergehen. Pikant an der ganzen Sache ist außerdem, daß ausgerechnet der Verfassungs"schutz", der einerseits aus ehemaligen hochrangigen Nazifunktionären (die man gezielt nach dem Krieg verschonte) hervorging und andererseits in Deutschland über Jahrzehnte gerade die rechte Szene nachweislich unterstützte, als richterliche Instanz hochstilisiert wird. Der Bock wird damit zum Gärtner gemacht.

Bemerkenswert ist auch der Schwerpunkt auf Facebook. Von dem Unternehmen weiß man, daß er eine Filterblase erzeugt. Gerade Rechtsradikale, wie eine jüngste Studie nachwies, werden gezielt isoliert, in ihrem eigenen Genre virtuell gefangen gehalten, um Gegenstimmen auszublenden. Einer Radikalisierung wird somit Vorschub geleistet. Weiters behält sich Facebook ebenfalls vor, Beiträge zu manipulieren. Man kann somit niemals sicher sein, daß die Texte, welche die mutmaßlichen Autoren der Öffentlichkeit darbieten, auch tatsächlich von ihnen kommen. Ich will damit nicht abstreiten, daß es natürlich auch Menschen gibt, die tatsächlich so denken, und ich will damit auch niemanden in Schutz nehmen. Diesen Umstand muß man jedoch mitbedenken, wenn man die Plattform "Facebook" angemessen bewerten will.

Mir war klar, dass das passiert", sagt sie, "aber es ist mir wichtig, dass das öffentlich wird. Die Kommentare sind widerlich." Inzwischen erhält sie sie nicht nur per Facebook, sondern auch via Mail und prüft rechtliche Schritte. "Sowas darf nicht passieren. Die Deutsche Bahn muss sich dazu äußern."

Was kann denn bitte die Deutsche Bahn dafür, wenn Nutzer von Facebook und weitere Privatpersonen sie über eMail beleidigen? Hier wird ein Zusammenhang konstruiert, der nicht existiert.

Mit der folgenden Aussage schießt sich der Autor vollends in die eigene Unmenschlichkeit:

Die Rechtsradikalen findet man nicht nur bei den Pegida-Treffen, bei denen sogar Mord gutgeheißen wird, bei rassistischen Demos oder in einschlägigen Ecken des Internet - sondern überall. Sie arbeiten bei der Bahn, stehen morgens beim Bäcker vor uns in der Schlange.

[...]

Sie sind nicht "das Volk", sondern dessen Bodensatz.

Da verschlägt es mir die Sprache.

Der Autor ist Richter und Henker zugleich. Er läßt nicht zu, daß dem Bahn-Mitarbeiter ein ordentlicher Prozeß gemacht wird -- wobei ich die von ihm getätigte Aussage nicht wirklich "rechtsradikal" finde; sie könnte, je nach Intonation, auch scherzhaft gemeint sein. Aber bei vielen Menschen setzt der pawlowsche Beißreflex zumeist den Humor außer Kraft, vor allem bei solch emotionalen Themen, die gerade jemand, der sich journalistisch engagiert, mit Fingerspitzengefühl und Augenmaß zu behandeln hat. Vorverurteilungen, ja sogar Entmenschlichungen ("Bodensatz") sind prekärerweise gerade die Stilmittel, die man im Vorfeld von Kriegen nutzt, indem man dem vermeintlichen Gegner den Status als Mensch abspricht.

Wenn wir aufhören, Menschen wie Menschen zu behandeln, sind wir auf dem besten Weg in den nächsten Krieg.

Chapeau, Herr Wustmann! Sie haben der Demokratie gerade einen Bärendienst erwiesen. Gedanklich scheinen Sie im Mittelalter festzustecken.

Interessant ist übrigens, daß in der heutigen Zeit den Rechtsradikalen und denen als solche erachteten Menschen hinterher gemacht wird, obwohl und gerade viele Bürger die AfD wählen. Wenn man schon vom "Bodensatz" spricht, dann wäre die AfD eine weitaus bessere Adresse als eine mutmaßlich scherzhaft gemeinte Aussage, ungeachtet dessen, daß solche Artikel auch dem Image der sonst sehr engagierten Bahn-Mitarbeitern schadet. Das haben sie nicht verdient.

Das Faß, daß die unnötig hochstilisierte Frau Julietta F. aufgemacht hat, das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Gerade jemand, der belesen, als Autor agiert und in sozialen Netzwerken unterwegs ist, hätte wissen müssen, daß es so kommt -- was nachweislich auch der Fall ist:

"Mir war klar, dass das passiert", sagt sie, "aber es ist mir wichtig, dass das öffentlich wird. [...]"

Keine weiteren Fragen.

Wer solche Aktionen bringt, der ist sich sehr genau bewußt, was für Reaktionen sowas mit sich bringt. Da habe ich null Mitleid.

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