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  • Foriist

538 Beiträge seit 31.03.2016

Bereits vor 300 Jahren war Hannover Fluchtort und Mekka freidenkender Menschen

Die Ankündigungen klingen gut - angesichts des Umfeldes.
Hillary Clinton forderte Amtskollegen in der EU auf, mit einem massives Zensurgesetz „die globale Demokratie zu stärken, bevor es zu spät ist“.
Die EU drohte Musk Geldstrafen und strafrechtliche Verfolgung an, wenn er mehr Meinungsfreiheit zulasse. Demokratische Führer entdecken staatliche Zensur neu. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern forderte weltweit geltende Zensur bei den UN unter Applaus von Diplomaten.
EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton warnt, Twitter-Nutzer könnten unzensiertes Material lesen oder nicht autorisierte Ansichten hören. Er drohte, Twitter müsse Regeln der EU einhalten und Ansichten zensieren, die EU-Bürokraten als irreführend oder schädlich erachten. Musk räumte ein, dass er sich diesen Zensurregeln vermutlich nicht widersetzen kann.

Die Hoffnung von Führern wie Clinton ist das in der Anti-Redefreiheits-Gesetz „Digital Services Act“: DSA enthält „Desinformations“-Regeln zur Zensur „schädlicher“ Gedanken oder Ansichten. Breton sieht im Recht auf freie Meinungsäußerung in den USA eine Gefahr. DSA soll „Wilde-West“-Periode des Internets beenden.

Vor 300 Jahren: Einst war Hannover Fluchtort und Mekka freidenkender Menschen
Lebte Isaac Newton (4.1.1643 – 31.3.1727) heute, hätte er wohl Millionen Follower.
Als Elon Musk seiner Zeit war er kontrovers, innovativ - und Gesprächsthema. Als heraus kam, dass er in die South Sea Company investierte, wollten unzählige Leute diese Aktie kaufen - wie von Musks befürwortete Dogecoins. Die Company, eine der größten Aktienblasen aller Zeiten, scheiterte, ohne einen Cent zu verdienen.
Newton verlor enorm viel, doch achteten die Leute nun sogar auf das, was er nicht sagte, um zu erahnen, was er dachte. Da er sich in frühen Werken weder zur katholischen noch zur anglikanischen Kirche bekannte, galt Newton als Atheist.
Dabei verwarf er „nur“ das den Christen ab 325 eingeredete Dreieinigkeits-Dogma.

Im puritanischen England war „Atheist“ das Übelste, was man unterstellen konnte.
Da Leute glaubten, Newton sei Atheist, wurde es populär, Lehren des Mainstreams zu bezweifeln: Charles Blount schrieb 1679, organisierte Religion sei ein Trick jener, die Reichtum und Macht über andere begehren. Blount war egal, wer was glaubte, wenn es eigene Folgerungen waren. Obwohl auch Blount zutiefst spirituell war galt er nun als „Atheist“. Seine Bücher wurden zensiert. Finanziell ruiniert und verleumdet beging er 1693 Selbstmord.
1696 empfahl John Toland in einem Buch, niemandem blind glauben ohne Nachforschung und intellektuellen Diskurs. Tolands Bücher ließ das irische Parlament in Dublin am 18.9.1697 verbrennen. Regierungen stellten Haftbefehle aus.
Kein Atheist sollte frei herumlaufen (Matthäus 10:23).

Toland hörte von einem Land, das weithin bekannt dafür war, tolerant zu sein.
Er nahm die Beine in die Hand und floh in eine Stadt an der Leine
– ins tolerantere Preußen. Verliert eine Gesellschaft den Verstand, gibt es mitunter eine, in der man freier lebt.

Da es in Hannover (DAMALS) keine Faktenprüfer und kein Blacklisting gab, forderte Toland hier ungestraft: „Lass alle frei und ungestraft sagen, was sie denken!…[Nur] so hörst du die ganze Wahrheit.“ Toland prägte das Wort „Freidenker“, als es ein Verbrechen war, einer zu sein. In England kursierten mehr als 50 Bücher, die ihn als bösen Atheist wiederlegen sollten – nur war er kein Atheist.
Wie Blount schätzte er geistige Freiheit überaus – während Canterburys Erzbischof schimpfte, Druckerpressen machen es „Unwissenden, Ungebildeten… Plebejern und Mechanikern …zu leicht“, Gott in Frage zu stellen.
Da der Buchdruck kein rechtsfreier Raum bleiben sollte, musste man ihn regulieren. Kommissionen zur Imprimatur hatten Fakten zu prüfen, um die Verbreitung von Fehlinformationen zu verhindern.
Wem das bekannt vorkommt, hier ist die gute Nachricht: Die Freiheit siegte.
Bald waren Zensoren und „Experten“ (die oft falsch lagen) vergessen.
Der Umnachtung folgte der Tag.
In der Geistesgeschichte Europas hatte die kleine Region Wittenberg - Weimar - Hannover - Potsdam große Bedeutung. In dieser Epoche der Aufklärung dichtete Goethe: „Aus der Gassen bedrückender Enge, aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht!“
Damit folgt Ansgar Heise einer guten Tradition.

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