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mehr als 1000 Beiträge seit 01.10.2000

Aus dem Nähkästchen

Ich war heute bei der Schulleitung und habe gefragt, ob und ggf. wie
an unserer Schule das Handy-Verbot umzusetzen sei. Er hält von diesem
"blinden Aktionismus" gar nichts und hat auch kein Problem damit,
wenn "Kinder in der Pause ihre Eltern anrufen wollen". Überhaupt, die
Gewaltvideos würden ohnehin getauscht, wenn nicht in der Schule, dann
eben in der Freizeit.

Er weiß, was ich weiß. In den vergangenen Jahren hatte ich mit
etlichen Mobbingfällen zu tun, bei denen Computer- und
Kommunikationstechnologie die entscheidende Rolle spielte. Es kam
meist nicht mal zum Disziplinarausschuss, nur zum erhobenen
Zeigefinger, und dann ab untern Teppich damit. Neulich hab ich schon
wieder so einen nackten Arsch im Internet gesehen. Im Schullandheim
aufgenommen. Sowas geht schnell: Hose runter, klick. Diesmal habe
auch ich weggesehen.

Die Strukturen sind immer gleich. Ein Schüler wird gemobbt, ist eben
der Klassenarsch, wobei die Jugendlichen da wenig Gnade kennen. (Das
ist nicht neu, so war es schon immer - fast jeder kennt es aus der
eigenen Schulzeit). Die etwas brutaleren Mitglieder der Gruppe setzen
Consumer-Technik wie z.B. Digitalkameras oder Fotohandies ein. Dann
gibt es noch den Computer-Experten, der endlich sein Freak-Image
loswerden kann, indem er sich der Gruppe dienstbar macht. Er stellt
das Zeug ins Internet. Spricht man mit den etwas aufgeschlosseneren
Schülern über solche Fälle, dann sagen die, immer: Aber der xyz hat
überhaupt nichts dagegen, dass sein Hintern im Internet zu sehen ist.
Der findet das sogar auch spaßig. (Hier mag sich jeder selber denken,
was wohl hinter dieser Freiwilligkeit stecken mag...).

Die Schule kann nichts tun. Denn Schule ist wie Politik. Der
Schulleiter muss höllisch aufpassen, dass seine Schule nicht in
Verruf gerät. Das würde sie aber ganz automatisch, auch dann (gerade
dann?), wenn sie sich um eine möglichst sachliche Thematisierung des
Problems bemühen würde. Also läuft es ewig so weiter: Schüler laufen
mit Geräten durch die Gegend, die nicht in Kinderhände gehören und
richten damit einen fürchterlichen Schaden an, für den sie nicht mal
ernsthaft zur Verantwortung zu ziehen sind. Das ist ein
Riesenproblem, an dem auch Medienpädagogik nichts ändert. Denn dafür
ist eine gewisse Altersstufe Voraussetzung. Man kann auch z.B. im
Reli-Unterricht nicht in der 6. Klasse über die Theodizee-Frage
diskutieren - jedenfalls sollte man sich davon nicht allzuviel
versprechen. Kinder können nun mal wahnsinnig grausam sein, erst
recht in Zeiten, wo Erwachsene ihnen vormachen, wie das geht; und
dies beschränkt sich nicht nur auf Gewaltszenen im TV und
Computerspielen, sondern auch auf öffentliche Spott-Exzesse a la
"Lisa Loch": Es ist normal und völlig in Ordnung, einen Mitmenschen
genüsslich fertigzumachen. Die Erwachsenen tun es ja auch.

Diejenige Medienkompetenz (aber gerade auch Sozialkompetenz), die
notwendig wäre, um mit den Möglichkeiten eines modernen Handies
verantwortungsvoll umzugehen, lässt sich i.d.R. nicht mit 12, 13,
oder 14 Jahren erlangen. Das ist mir mittlerweile sonnenklar. Hier
liegt die Ursache für die Horrormeldungen, die ab und an, aber
regelmäßig durch die Medien geistern.

Ich glaube, dass meine Schule absolut kein Einzelfall ist. Ich bin
davon überzeugt, dass wir es mit einer extrem hohen Dunkelziffer zu
tun haben. Denn Licht ins Dunkel können ausgerechnet nur diejenigen
bringen, die absolut kein Interesse daran haben - sie würden damit
"politischen" Selbstmord begehen.

Ich hoffe aber, dass ich ein wenig aufklären konnte. Als Heise-Poster
mit Pseudonym... (eigentlich traurig, ich weiß).
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