MaraMuse schrieb am 25.08.2022 14:55:
ZaphodBB schrieb am 24.08.2022 23:42:
Sicher. Aber deine Sichtweise ist typisch neoliberal. Geld ist ein Mittel, über das der Staat Zwang ausübt. Nur wenn man in neoliberaler Manier dem Staat keine Rolle zubilligt, läuft das so.
Dass das nicht wirklich meine persönliche Sichtweise ist, habe ich im OP versucht anzudeuten.
OK. Ich halte es aber für wichtig, sich auch in der Kritik von dieser Sichtweise klar zu distanzieren.
Es ist aber die Sichtweise, die seit 4 Jahrzehnten in einer stets steigenden Zahl von Ländern mit steigenden Mehrheiten für die beste und einzig richtige befunden wird, so dass (nicht nur) ich mich damit wohl abfinden muss, dass diese Tendenzen sich weiterhin immer weiter intensivieren werden, mit absehbaren und ganz offensichtlich mehrheitlich gewünschten Folgen.
Meiner Meinung nach steckt hinter dieser Sichtweise reines Wunschdenken. Der liberale Traum ist eine anarchische Welt. Daher stehen auch das Individuum und der Markt als Ort der Interaktion so im Zentrum und auch der Tausch. Denn der Tausch ist komplett beziehungslos, d.h. man trifft sich kurz und geht danach wieder auseinander. Maggie Thatcher hat dieses Denken perfekt auf den Punkt gebracht: There is no such thing as society.
Diese Idee diente einst dazu eine feudale Ordnung abzuschütteln und es ist geradezu eine Ironie der Geschichte, dass so ein Feudalismus 2.0 geschaffen wird.
Das Problem dieser Liberalen ist dann aber, dass sie keine Alternative haben, weswegen sie an dieser Vorstellung festhalten. Und jedes Versagen ordnen sie eine externe Ursache zu, wobei ganz vorne der Staat steht, den sie beseitigen wollen.
Nur haben sie schon vor über 200 Jahren erkennen müssen, dass ohne Staat ihre Ordnung per se nicht funktionieren kann. Denn die fußt auf der Existenz von "Eigentum". Das gibt es aber nicht ohne einen Garanten: den Staat.
Das führt wiederum zu dem liberalen Dilemma: es geht nicht mit und auch nicht ohne Staat, weswegen der staatliche Einfluss minimiert werden muss. Denn der hat dann nur noch die Funktion eines Nachwächters. Dieser Nachtwächter ist aber dann selbst die Bedrohung für das Eigentum, denn er monopolisiert die Gewalt um das Eigentum zu garantieren. Daher muss auch der Staat kontrolliert werden. Und das geht am Besten über die Demokratie statt durch eine feudale Klasse. Nur da haben wir dann das nächste Dilemma: über die Demokratie haben wieder die vielen Habenichtse, die das Eigentum bedrohen und die der Nachwächter in Schach halten soll, die Macht, den Nachtwächter gegen das Eigentum in Stellung zu bringen.
Das ist aber noch längst nicht alles: mit der Idee eines "Tauschmittels" verschließen diese liberalen Denker komplett die Augen vor der Tatsache, dass auch das Geld ohne Staat nicht existieren kann und das Geld in dem Machtmonopol des Staates gründet und der Staat darüber Macht ausübt und jene zu seinem Mittel macht, die diese Träumer völlig von der Macht des Staates befreien wollen. Der Markt ist nämlich keine natürliche Ordnung sondern die Konsequenz daraus, dass der Staat sich auf seine unmittelbaren Ziele fokussiert und alles andere seine Bürger selbst regeln lässt. Das zwingt sie zur Arbeitsteilung und dazu, weil es keinen zentralen Plan gibt, ein Angebot zu schaffen, das eine Nachfrage antizipiert. Das erzeugt den Markt und den Wettbewerb, weil ohne Absprachen das den Millionen nie perfekt gelingen kann.
Dieses System funktioniert an sich ziemlich gut. Nur dadurch, dass man den zentralen Planer dazu drängt, möglichst wenige bis keine Ziele zu verfolgen, verliert dieses System an Pläne und Führung. Denn die einzelnen Akteure verfolgen in der Regel den Gewinn als Ziel und das, was sie tun, ist für sie nur Mittel zum Zweck. Das macht sie zwar zu perfekten Werkzeugen, nur werden sie dann mehr nicht benutzt.
Das ist dann wie ein Sitzrasenmäher, der führerlos im Garten herumirrt.
Denn der Versuch, Mehrheiten gegen ihren Willen vor dem Untergang zu bewahren oder zu ihrem Glück zu zwingen, dürfte grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sein - von der Frage der Legitimität solcher Überlegungen sowieso ganz abgesehen.
Das kommt darauf an, wie man es macht. Die Funktion der Parteien besteht im Wesentlichen gemäß unserer Verfassung darin, die Meinung zu bilden, d.h. einen Willen zu formen. Das ist in einer Demokratie unausweichlich, denn die Entscheidung fällt immer in einer Abstimmung. Das gilt selbst in einer repräsentativen Demokratie. Denn hier wird die Macht nur für kurze Zeit übertragen.
Das haben aber viele bis heute noch begriffen, dass man langfristig gegen die Mehrheit keine Politik machen kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die Mehrheit dann im positiven Sinne am Ende durchsetzt. Es kann auch dazu führen, dass sie die Demokratie abräumt. Denn ohne die nötige Meinungsbildung kann eine Demokratie nicht stabil sein.
In extremerer Form gefragt: hat eine Minderheit denn z.B. überhaupt ein Recht auf Überleben, wenn die große Mehrheit marktkonformdemokratisch den kollektiven Selbstmord beschließt?
Klar hat sie das. Nur wird sie dieses Recht schwer einklagen können bzw. erst dann, wenn es klar und deutlich wird, dass der Weg der Mehrheit im Selbstmord endet. Dann dürfte es aber zu spät sein. Praktisch erleben wir aber schon längst, dass die Minderheit da ihr Recht durchgesetzt bekommt. Das Verfassungsgericht hat längst schon ein Urteil gefällt, das die Mehrheit dazu zwingt, den Selbstmord abzuwenden.
Recht haben wird aber nicht reichen, weil die Durchsetzung des Rechts zu lange dauern wird.
Und bei dieser Frage ist es egal, ob dieser Selbstmord militärisch, ökonomisch oder durch ruinierte Umwelt geschieht.
Klar. Nur dürfte das im Falle von militärischem Selbstmord noch am einfachsten sein, sich juristisch durchzusetzen. Beim Thema Umwelt sieht das schon ganz anders aus, weil man das Handeln klar den Folgen zuordnen können muss, was praktisch zum Scheitern verurteil ist. Die Umwelt wird durch Tun zerstört, das man im Einzelnen kaum beanstanden kann.
Und ökonomische Selbstmord sehe ich nicht. Gerade der Kapitalismus zeichnet sich durch seine enorme Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit aus. Daher ist er auch so quickfidel, obwohl er schon seit langem und schon so oft totgesagt wurde. Das liegt daran, dass auch seine Kritiker ihn wohl nicht wirklich richtig verstehen. Er ist kein System sondern etwas, das sich zwangsläufig ergibt und evolutionär funktioniert. Damit ist er praktisch nicht totzubekommen und man müsste etwas völlig anderes an seine Stelle setzen. Aber genau daran und der damit verbundenen Komplexität wird man immer scheitern.
Statt ihn abzuschaffen sollte man ihn regulieren und die Ressourcen begrenzen, auf die er zugreift. Die Anpassungfähigkeit kann man sich zu Nutze machen. Er ist kein System, keine Gesellschaftsform sondern nur ein Mittel zum Umsetzen von Plänen. Daher ist auch der Gegensatz von "Planwirtschaft" und "Kapitalismus" völliger Unsinn.
zaphodbb