Der Sozialstaat lebt davon, dass der größte Teil der Menschen im Lande einer Erwerbsarbeit nachgehen. Denn Erwerbsarbeit generiert einen großen Teil des Steueraufkommens und finanziert praktisch den kompletten Sozialhaushalt.
Zumindest in den 90ern war das mal Schulwissen, genauer Klassenstufe 9, Sozialkunde, mittlere Reife. Und auch in der Berufsausbildung ist das irgendwann an der Berufsschule mal erwähnt worden, wie der Sozialstaat finanziert wird. Im Zweifel kann man aber heute die beliebte Suchmaschine benutzen und, sofern man die richtige Frage stellt, alles zum Sozialstaat recherchieren.
Der Anteil der sozialversicherungspflichtig arbeitenden Bevölkerung nimmt seit Jahren ab. Zugleich sinkt auch das Lohnniveau - befeuert durch Agenda 2010 und den Mindestlohn und natürlich die vielen Nullrunden. War es in den 1990er in den alten Bundesländern üblich, dass ein Ernährer eine vierköpfige Familie über die Runden bringen konnte und sogar eine Immobilie finanzierte, sind in den 2020ern diese Zeiten längst vorbei und teilweise reichen sogar zwei volle Einkommen nicht mehr aus, die Familie zu finanzieren, vom Eigentum und der privaten Altersvorsorge ganz zu schweigen.
Einfache Logik ist manchmal die richtige Logik: wenn immer weniger Menschen per Erwerbsarbeit ins Sozialsystem einzahlen und auch noch immer weniger Geld verdient wird, dann geht die Finanzierung eben in die Binsen. Die Sozialversicherungen sind chronisch unterfinanziert und müssen aus dem Steuersäckel bezuschusst werden. Im Falle der Krankenversicherung wird offen Definitionsschmuh betrieben: damit die Beitragssätze stabil bleiben, dürfen Krankenkassen "Zusatzbeiträge" eintreiben. Heißt halt anders, sorgt trotzdem für weniger Netto vom Brutto. Mehrleistung gibt es übrigens nicht, im Gegenteil: der Leistungskatalog wird immer weiter eingedampft und die Zuzahlungsleistungen nehmen immer mehr zu.
Die gesetzliche Rentenversicherung baut ebenfalls auf den Einkünften aus den Erwerbseinkommen auf. Da die geburtenstarken Jahrgänge nun langsam aber sicher in Rente gehen, fällt das natürlich doppelt auf die Füße: es gibt weniger Nachkommen, welche durch Erwerbsarbeit den Generationsvertrag erfüllen helfen. Dabei wird nicht einmal das Potential der Erwerbsfähigen voll ausgereizt: die geringe Arbeitslosenzahl wird durch Statistiktricks erreicht. So sind Minijobber nicht "arbeitslos", auch wenn sie weiterhin Geld vom Amt erhalten. Die ganzen Statistiktricks lassen den Arbeitsmarkt besser aussehen als er ist, einschließlich Pseudo-Vakanzien, die nur "virtuelle" Stellenangebote darstellen. Am Ende haben wir ein Millionenheer Arbeitssuchender, die gerne würden aber für die es keine sozialversicherungspflichte Erwerbsarbeit gibt. Und die zahlen natürlich auch nichts in's Sozialsystem ein.
Die Schieflage wird noch verstärkt durch die Abgaben- und Steuerpolitik. Die "Rettung" sollte ja durch die "private Altersvorsorge" kommen, namentlich Rürup- und Riester-Renten. Wer da etwas einzahlt hätte dann ab dem Renteneintrittsalter noch einen (steuerfreien?) Betrag auf die gesetzliche Rente bekommen können und potentiell Altersarmut abwenden können.
Der neueste Schrei, gern von CDU-Chef Merz aus dem Hut gezaubert, soll die Aktienrente sein. Man "investiert" etwas von seinem Einkommen in Aktien und kann damit seine Altersvorsorge betreiben. Natürlich kann man nur mitspielen, wenn man Geld übrig hat und bereit ist, das Risiko einzugehen - zumal gerade deutsche Unternehmen über Auslandsverlagerungen nachdenken, weil die Produktions- bzw. Lohnstückkosten viel zu hoch geworden sind in Deutschland.
Wer nichts hat als Erwerbstätiger und grad so über die Runden kommt, kann aber weder mit einer privaten Rentenversicherung noch irgendwelchen Investitionsplänen in Aktien was anfangen. Kein Geld wird nicht mehr, wenn man es nicht zum Investieren abzweigen kann. Also ist klar: die allermeisten heute Erwerbstätigen landen am Ende in der Altersarmut, weil sie nur die gesetzliche Rente erhalten werden.
All die Probleme könnte man ja lösen. Dazu müsste man aber für einen Moment nachdenken und die Lasten gerechter verteilen. Das fängt eben damit an, dass die Beschäftigungsquote deutlich angehoben wird, aber auch das Lohnniveau steigt. Denn je mehr Menschen am Wertschöpfungsprozess beteiligt sind und je besser sie verdienen, desto mehr Steuern und Sozialabgaben fallen an. Dann könnte man aber die individuellen Abgabenlast senken, so dass mehr Netto vom Brutto übrig bleibt, die Kaufkraft steigt bzw. die Erwerbstätigen wieder etwas investieren können in ihre Altersvorsorge. Je mehr Menschen als einer Erwerbstätigkeit nachgehen, desto mehr Netto haben diese Menschen und die Rente ist finanziell gesichert.
Aber, wie gesagt, das ist halt Schulwissen Sozialkunde Klassenstufe 9 in der mittleren Reife. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass unsere Entscheidungsträger gerade da Kreide holen waren - oder im BWL-Studium "verdorben" worden sind: Kostenoptimierung, Spieltheorie und Buchhaltungsweisheiten sind halt antisozial im Sozialstaat.