Bundeskanzler Scholz, Spaniens Sanchez und Portugals Costa haben die Franzosen kurz vor der Wahl in Zeitungsanzeigen aufgerufen, Macron zu wählen. Wo war da bitte der Aufschrei der deutschen Presse?
Aufschrei worüber? Dass die Staatschefs von europäischen Partnerstaaten sich für die Fortsetzung der europäischen Partnerschaft aussprechen und daher ihre Präferenz für den Kandidaten äußern, der diese fortsetzen will vs der Kandidatin, die die europäische Union kaputtmachen will?
Aber selbst abgesehen davon ist es doch völlig normal, dass sich innerhalb einer Union von Gebietskörperschaften Politiker für ihre Präferenzen in anderen Teilen der selben Union aussprechen, zumal sie ja dann auf Unionsebene mit den Leuten zusammensitzen und arbeiten müssen. Auf Bundesebene oder Kommunalebene passiert es ja noch stärker: da käme auch bei einer Landtagswahl oder Bürgermeisterwahl keiner auf den abstrusen Gedanken, einem Ministerpräsidenten eines anderen Bundeslandes (bzw Bürgermeister einer benachbarten Stadt) das Wort zu verbieten, wenn der seinen Fraktionsfreund oder Partner im Wahlkampf unterstützt.
Was würden unsere Medien für ein Aufschrei veranstalten, wenn sich Putin in Amerika öffentlich für die Wahl von Donald Trump stark machen würde?
Abgesehen davon, dass der Vergleich schon insofern hinkt, als dass Russland und die USA nicht Teil einer gemeinsamen Union sind, wäre es vor allem so, dass Putin mit einer OFFENEN Unterstützung Trump nur geschadet hätte, weil Russland generell und Putin insbesondere von der Mehrheit der Amerikaner (außer einer Minderheit der Trump-Wähler) nicht gerade als den USA gegenüber partnerschaftlich gesinnt wahrgenommen werden.
Die Kritik an Putins Unterstützung für Trump bezog sich auch nicht auf die Trump-präferierenden Äußerungen von ihm und seiner Entourage (er kann ja seine Präferenz ja äußern wie er mag), sondern auf die verdeckten Aktionen zur Wahl-Manipulation durch die Petersburger Trollfabrik. Siehe dazu etwa die investigative ARTE-Doku von 2017: "Propaganda 3.0 - Putin und der Westen" (Original-Titel: "Guerre de l'info : au coeur de la machine russe").
Wer in Frankreich die Wahlsendung gesehen hat, der wunderte sich sicherlich auch über die Zahlen. Bei der Stimmenauszählung um 21:10 hatte Marine Le Pen 14,3 Millionen Stimmen auf sich vereinen können. 22:40 waren auf einemal nur noch 11,6 Millionen Stimmen - haben es sich knapp 2,5 Millionen Wähler nach der Wahl noch einmal anders überlegt?
Ich hab die Wahlsendungen an dem Abend durchgehend auf verschiedenen französischen Sendern verfolgt, und da hatte Marine Le Pen mitnichten 14,3 Millionen Stimmen. Auf welchem Sender willst du das gesehen haben?
Selbst die HOCHRECHNUNGEN (und wohlbemerkt: Hochrechnung bedeutet nicht, dass sie schon so viele Stimmen HAT sondern dass das auf die Gesamtzahl hochgerechnet soviel ergeben WÜRDE) waren um 21:10 schon deutlich darunter. Die einzige Zahl, die dem in etwa entspricht, ist der von Marine Le Pen selbst in ihrer Rede am Wahlabend vorgebrachte Prozentsatz von 43%, aber das war schon 20:13… und selbst zu dem Zeitpunkt schon gelogen, da die amtlichen Hochrechnungen zu dem Zeitpunkt schon bei nur 42,4% lagen.
Kannst dir ja ihre u.a. auf BFM an dem Abend live übertragene Rede anschauen, lustigerweise mit dem Ticker der in echtzeit übertragenen amtlichen Hochrechnungs-Werte unten, wenn du über die Diskrepanz lachen willst:
https://www.youtube.com/watch?v=nJItvKrMtyk
Wie dem auch sei, dass Le Pen am Anfang der Hochrechnungen leicht höhere Hochrechnungs-Ergebnisse hatte als am Ende der Hochrechnungen, liegt an zwei Faktoren die beide darauf hinauslaufen, dass die Le Pen-Hochburgen zuerst ausgezählt wurden:
* erstens haben die Übersee-Départements und -Territorien, die diesmal aus Protestwahl mehrheitlich für Le Pen gestimmt haben, früher gewählt als Kontinentalfrankreich.
* und zweitens sind Auszählungen bei kleinen ländlichen Dörfern (wo Le Pen teilweise hohe Werte und einen Großteil ihrer Stimmen her hatte) deutlich schneller fertig als die in den großen Städten (wo abgesehen von Ausnahmen mehr Leute Macron oder Mélenchon gewählt haben).
Um das mit den Le Pen-Hochburgen an einem besonders krassen Beispiel im Elsass (also in Grenznähe zu Deutschland) zu zeigen: Die ersten vorläufigen Hochrechnungen gab's für Colmar (27638 Wählende; Endergebnis 59,68% Macron und 40,32% Le Pen) und Strassbourg (98264 Wählende; Endergebnis 77,65% Macron und 22,35% le Pen) erst etwa zwei Stunden nach dem Ergebnis für die Le Pen-Hochburg Fessenheim (nur 1279 Wählende; Endergebnis 75,68% Le Pen und 38,16% Macron). Ein Dorf ist halt schneller durchgezählt als eine Großstadt.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (27.04.2022 17:51).