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  • Capella

mehr als 1000 Beiträge seit 05.04.2002

das meiste sehe ich anders

Hi,

irgendwie redet der Mann total an meinem Weltbild vorbei. Erstens
finde ich, das letzte, was wir brauchen, mal so ganz global gesehen,
sind mehr Kinder. Im Mathematikmuseum in Gießen gibt es so eine
Weltbevölkerungsuhr. Da wird im Sekundentakt hochgerechnet, wie viele
Menschen gerade auf der Erde leben. Und das werden schneller mehr als
man gucken kann, das ist geradezu beängstigend. Fortpflanzung ist in
unserem biologischen Programm mit einer sehr hohen Priorität
versehen. Man braucht keine Kirche, um den Menschen zu sagen, dass
sie Kinder kriegen sollen. Das regelt unser Instinkt. Das Problem ist
also nicht, dass zu wenige Kinder geboren werden, sondern dass in den
armen Teilen der Welt zu viele geboren werden. Schließlich wollen die
alle berechtigterweise genug zu essen, sauberes Wasser, ein Dach über
dem Kopf etc. Von Autos, Computern oder Fernsehern mal ganz zu
schweigen. Wir betreiben da zur Zeit einen Ausverkauf an Rohstoffen
und der Mangel der da logischerweise entsteht fällt uns hier nur
nicht auf (von Benzinpreisen vielleicht mal abgesehen), weil wir im
Weltdurchschnitt halt immer noch stinkendinkenreich sind. Das ist
ausgesprochen bequem, aber nicht besonders gerecht.

Was die soziale Versorgung innerhalb der reichen Industrieländer
angeht, ist das meiner Meinung nach eine Frage der Umverteilung. Auch
mit der schrumpfenden Bevölkerung ist die Wertschöpfung ja nicht
geringer. Das Bruttoinlandsprodukt steigt weiter an, wenn auch
vielleicht nicht mehr so rasant wie vor zwei oder drei Jahrzehnten.
Geld müsste also genug da sein, ja, bei weniger Menschen müsste
eigentlich sogar für jeden einzelnen mehr da sein. Dass das nicht so
zu sein scheint, liegt nicht an zu wenig Kindern, sondern daran, dass
ein paar Reiche immer reicher werden. Das ist kein Aufruf zum
Kommunismus, es sollen ruhig Menschen, die mehr arbeiten und besser
qualifiziert sind, mehr verdienen als andere. Aber doch bitte alles
in gesunden Maßen. Jahresgehälter im 7-stelligen Bereich können
meiner Meinung nach einfach nicht gerechtfertigt sein.

Den Hauptgrund dafür, dass es in unserer Gesellschaft heute weniger
Kinder gibt, sehe ich allerdings nicht in wirtschaftlichen Zwängen
(denn wenn man sich Statistiken anguckt, sieht man, dass
Unterschichtfamilien deutlich die meisten Kinder bekommen, an
finanzieller Notlage kann es also nicht liegen), sondern darin, dass
das Familien-Idyll-Ideal und die gelebte Beziehungsrealität nicht
zusammenpassen. Ich zumindest habe bisher keine Kinder (und werde mit
inzwischen 35 Jahren wahrscheinlich auch keine mehr kriegen), weil
ich nicht lange genug mit einem meiner Partner zusammen war, um
diesen Schritt zu wagen. Das war eine Entscheidung der Vernunft,
gegen meinen Instinkt (denn wie wohl die meisten Frauen kriege ich
ohne mein bewusstes Zutun ein dümmliches Grinsen im Gesicht, wenn ich
einen Säugling sehe). In einer Gesellschaft wie im Deutschland der
50er Jahre hätte ich aber wahrscheinlich ohne groß darüber
nachzudenken meinen ersten festen Freund geheiratet und sicherlich
auch mit ihm Kinder bekommen. Glücklich wären wir dabei aber wohl
eher nicht geworden, und die Kinder damit wahrscheinlich auch nicht.
Kann das erstrebenswert sein? 

Wenn wir uns mal selber auf die rote Liste der vom Aussterben
bedrohten Arten setzen müssen, bin ich auch bereit, gegen die
Vernunft für den Arterhalt zu poppen. Brauch ich dann auch keine
Kirche für. Aber da das wohl nicht der Fall ist, möchte ich mein
Leben selbst bestimmen und nur dann Kinder kriegen, wenn ich auch das
Gefühl habe, ich kann ihnen für die nächsten 20 Jahre ein Zuhause
bieten, dass den Namen verdient. Vor allem emotional, nicht nur
materiell.

Gruß,
Capella
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