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mehr als 1000 Beiträge seit 14.02.2016

Re: "Das Elend bürgerlicher Kritik..."

1) Ein häßlicher Satz
tertium non datur schrieb am 04.06.2016 06:44:

Vor einiger Zeit schrieb hier im Forum mal jemand den schönen Satz:
"Das Elend bürgerlicher Kritik liegt darin, die Systemfunktion für das Resultat eines moralischen Mangels der Akteure zu halten"

Das ist ein unschöner, weil eigentlich gar kein "Satz". Was soll "Systemfunktion" sein, wenn der Sprecher keine Funktion, also weder Ziel(e) noch Zweck(e) angibt? In dem Satz bleibt von "Funktion" nichts übrig, als die Vorstellung eines "Zusammenwirkens wohlbestimmter Teile zu einem wohlbestimmten Ganzen", in welcher alle "Wohlbestimmtheit" zur Leerstelle herab gesetzt ist, und der Name einer solchen Vorstellung ist allerdings "System", oder auch "Struktur". Der Satz ist zur ersten Hälfte eine Tautologie, zur zweiten Hälfte ist er eine verlogene, weil mutwillig verklausulierte Formulierung für eine Rechtfertigung, mit der Kommandeure Gehorsam einzufordern pflegen: "Wir sind doch alle nur Rädchen im System". Ich nur an einer anderen Stelle, als Du. Schon möglich, doch auf die Differenz kommt es genau in den Situationen an, in denen "Sätze" fallen, mit denen sie weggewischt wird!
So verdienst Du Dir den zusätzlichen Unfug, den st.sch. mit dem Satz treibt.

das kapitalistische System [ist] der Schuldige

À bas "das System"! Hängt es an die Laternen! St. nutzt die o.a. Tautologie, die Redeabsicht umzukehren. Statt die Akteure von ihren jeweilig verfolgten Zwecken zu entlasten, belastet er sie damit, und so, genau so, rechtfertigt St. den moralistischen Verriß den Gerrit im Artikel für "Kritik" ausgibt.

2) Elementarform des bürgerlichen Rassismus: Der Mensch
Marx erschien der bürgerliche Rassismus vor dem Hintergrund der Gärungen in den Proletariaten seiner Zeit derart läppisch, derart geschichtlich obsolet, daß er dessen hinreichende Kritik im "Kapital" auf eine Fußnote beschränkt:

Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perle oder Diamant entdeckt. Die ökonomischen Entdecker dieser chemischen Substanz, die besondren Anspruch auf kritische Tiefe machen, finden aber, daß der Gebrauchswert der Sachen unabhängig von ihren sachlichen Eigenschaften, dagegen ihr Wert ihnen als Sachen zukommt. Was sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, daß der Gebrauchswert der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisiert, also im unmittelbaren Verhältnis zwischen Ding und Mensch, ihr Wert umgekehrt nur im Austausch, d.h. in einem gesellschaftlichen Prozeß. Wer erinnert sich hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt:

"Ein gut aussehender Mann zu sein ist eine Gabe der Umstände, aber lesen und schreiben zu können kommt von Natur."

Ich habe das Wort "sonderbar" hervor gehoben, weil es die ganze Kritik der Fußnote repräsentiert, die von 99% der aktuellen Leser ignoriert und verpaßt wird. Marx hatte im Haupttext bis zu dieser Stelle vergleichsweise lang und breit ausgeführt, daß und wie der Gebrauchswert eines Dinges, zwar durch seine chemischen, physikalischen etx. Eigenschaften bedingt, ein gesellschaftliches, mithin geistiges Produkt ist. Einem Schaf käme es wohl höchst unpassend vor, von Menschen als Nahrung angesehen zu werden, fügt Marx in der "Kritik ..." hinzu, doch eine Gesellschaft von Menschen nehme (und mache) es dazu. Gebrauchswerte sind vergegenständlichte Bedürfnisse gesellschaftlich lebender Menschen und folglich Resultat gesellschaftlicher Prozesse. Doch der bürgerliche Mensch hält heute, wie zu Zeiten Shakespeares, als dies noch ein aus der ständischen Gesellschaft heraus strebendes "Sollen" reflektierte, eisern an dem philosophisch verballhornten Verhältnis von "Ding und Mensch" fest, das ihm die Erscheinungsformen der Trennung von Gebrauchswert und Tauschwert vorgeben, welche die bürgerliche Gesellschaft mit roher Gewalt zur Elementarform aller gesellschaftlichen Beziehungen bestimmt hat.
Insoweit und -sofern das so ist, schnurrt dem Bewußtsein des bürgerlichen Menschen seine Gattung auf jedes Individuum zusammen. Ein Individuum soll nicht mehr Angehöriger einer Gattung sein, das sie in der Eigenschaft des Angehörigen repräsentiert, sondern die Gattung selbst, soll alle Gattungseigenschaften in sich vereinen. Dieses Ideal bestimmt alle gesellschaftlichen Unterschiede zu Unterschieden der Heredität (= "Natur", Gaben, Gene oder spirituelle Bestimmung) und Moral, bzw. einem fiktiven Zusammenhang dieser beiden Bestandteile. Abweichende / entgegenwirkende Ursachen, wie z.B. "unterschiedliche gesellschaftliche Startbedingungen", gelten als Verstoß gegen diese rassistische Bestimmung "des Menschen".

Das ist der Auftakt weiterer Kommentare, die mehr auf den Artikel gezielt sein werden, aber jetzt muß ich erstma' arbeiten.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (04.06.2016 10:04).

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