Das ist eine Anhäufung von nur schwach verbundenen Klischees des typischen Mitläufers, der sich selbst für aufgeklärt und rational und deshalb für das Maß aller Dinge hält. Man ist nicht links - denn der Kapitalismus hat ja auch gute Seite - aber natürlich auch nicht rechts, denn "Lokalpatriotismus ist verpönt wie kaum sonst etwas unter Künstlern". Aus dieser egozentrischen Sicht fließt dann die Erkenntnis, dass doch letztlich alles am Einzelnen hänge, denn, so der einfältige Schluss "nicht ein System handelt, sondern einzelne, konkrete Menschen".
Dieser Text ist so schlecht, dass man ihn noch nicht einmal richtig kritisieren kann. Das liegt vor allem daran, dass er keine zusammenhängende Argumentation enthält. Deshalb einfach mal ein paar Anmerkungen zu einzelnen Aussagen:
1. Der Autor wirft dem "braunen Rand" vor, dass er sich gegen die gleichen Missstände wende wie die Linke und damit "klassische Themen der Linken" besetze. Da fragt man sich doch, seit wann Themen von Gruppen besetzt und als ihr Eigentum verteidigt werden können. Wenn TTIP und die aktuelle Sozialpolitik schädlich sind, dann ist doch jeder Mitstreiter in dieser Frage ein Zugewinn. Es wäre doch sinnvoll, in dieser Frage zusammenarbeiten und die Auseinandersetzung auf die Themen zu beschränken, in denen man uneins ist.
2. Dann wirft er der AfD vor, dass sie der Linke "das Protestpotential weggenommen habe". Jeder ist aufgerufen, sich darunter etwas Sinnvolles vorzustellen. Der eigentliche Vorwurf müsste sich doch an die Linke richten, die sich offenbar durch eigenes Nichthandeln zum Statisten hat degradieren lassen. Die AfD hat dabei keine Rolle gespielt.
3. Dann gibt er etwas zum angeblichen "Sozialdarwinismus der AfD" zum besten, allerdings ohne konkret zu werden. Dabei sind alle aktuellen Probleme, die der Autor eingangs selbst benennt, nicht etwa durch die AfD entstanden, sondern werden von den aktuell und vormals regierenden Parteien verantwortet. Die AfD könnte, selbst wenn sie es wollte, die etablierten Parteien in der neoliberalen Ausrichtung nicht übertrumpfen. Welche Auswirkungen die Politik der AfD entwickeln hätte ist so lange Spekulation, wie sie keine Gelegenheit hatte, ihre Vorstellungen umzusetzen.
4. Dann behauptet der Autor, die Leute gingen von der falschen Grundannahme aus, die Politik müsse für sie ganz persönlich etwas tun. So blöd ist aber in Wahrheit niemand. Jeder weiß, dass die Politik keine Einzelfälle behandeln kann, sondern die gesamte Gesellschaft im Auge haben muss. Deshalb sind die Leute ja auch ohne Proteste bereit, auf persönliche Vorteile zu verzichten, wenn es dem Gemeinwohl dient. Diese Erkenntnis ist u.a. die Grundlage jeder Art von Sozialstaat. Die aktuelle Unzufriedenheit speist sich aus dem Eindruck, dass die Politik eben nicht das Gemeinwohl zum Ziel hat, sondern den Interessen einer kleine einflussreichen Gruppen von Leuten und denen "der Wirtschaft" dient.
5. Dann behauptet der Autor die AfD lehne das Recht auf Asyl ab und Religionsfreiheit. Das ist natürlich barer Unsinn. Es geht im ersten Fall darum, dass unterstellt wird, dass Dinge unter das Asylrecht subsumiert werden, die da nicht darunterfallen. Beim zweiten Fall geht es um die Frage, wo die Religionsfreiheit endet, d.h. wo sie in Konflikt mit anderen grundgesetzlich verankerten Prinzipien gerät.
6. Dann kommt der Autor auf das Thema "neuer Mensch" und wirft da Nietzsches Übermensch, rein biologisch-evolutionäre Ideen und Erdogans AKP in einen Topf. Er vergisst dabei aber zu erwähnen, dass der linken Bewegung genau diese Idee der Umerziehung des Menschen zugrunde liegt.
7. Der Autor identifiziert sich nun offenbar mit dem "Künstler" und glaubt im Namen aller "seriösen Künstler" sprechen zu können. Dabei zeigt ein kurzer Blick in die Geschichte, dass sich Künstler zu allen Zeiten dem Establishment angedient haben. Wenn er die Augen öffnen würde, könnte er sehen, wie sich fast die gesamte Kunstszene vor den neoliberalen Karren spannen lässt. Selbst angeblich "linke Künstler" wie Bob Dylan lassen sich von Obama die Friedensmedaille oder wie das Ding heißt umhängen.
8. Nun muss er allerdings konstatieren, dass prominente Intellektuelle sich gegen Leute wie ihn stellen. Da ja aber für ihn feststeht, dass er und nur er im Besitz der wahren Wahrheit ist, geben diese "dem antidemokratischen Unsinn der neuen Rechten einen pseudointellektuellen Anstrich". Er konstatiert "Korrupte Politiker, lügende Medien, antiamerikanische Verschwörungstheorien - von den alten weißen Herren des Kulturestablishments kommt mitunter derselbe Forentrollbrei, nur eben anders verpackt, gerichtet an ein bürgerlich-gebildetes Publikum." - wobei das moderne Verdikt "alte weiße Herren" natürlich nicht fehlen darf. Auf die nahe liegende Idee, dass er selbst vielleicht etwas entscheidendes nicht begriffen hat, kommt der Autor nicht.
9. Dann will er die "Systemfrage einstweilen abhaken" (was im übrigen belegt, dass er davon ausgeht, dass es eine solche gibt). Das übliche, durch nichts begründete Motto ist - ja nicht optimal, aber das beste was wir kennen.
10. Dann kommt aber der Hammer. Er sagt mit vielen Worten im Grunde nicht anderes als "selbst schuld". Es geht nicht um Machtfragen, sondern um "um psychologische Fragen, die so alt sind wie der Homo sapiens selbst."
Dann folgt eine Huldigung an das bestehende System nach der anderen:
"[Dann] kommt wieder auf der Straße (siehe Demos gegen TTIP) der kollektive Ruf nach der Abschaffung des Kapitalismus, der, so wird es gesehen, für derartige Missstände verantwortlich ist. Das stimmt aber nicht. Denn es gab bislang kein System, in dem nicht eine vergleichsweise kleine Gruppe von Menschen die Mehrheit in unterschiedlichen Formen ausbeutete."
Und in seiner großen Weisheit verkündet der Autor gleich die Alternativlosigkeit:
"Und es wird auch keines geben. Es ist gar nicht möglich. Denn das Problem hier ist nicht systemisch."
"So wird das nichts. Nicht im besten politischen System aller Zeiten. Der Mensch bleibt Mensch."
Ḱurz: Leute, wir leben im besten aller möglichen Systeme. Ausbeutung lässt sich nicht vermeiden, denn das liegt nicht am System, sondern am Mensch. Deshalb findet euch damit ab, dass es euch immer schlechter geht. Mensch bleibt eben Mensch.
Und so ein erzreaktionärer Autor drischt auf die AfD ein?
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (04.06.2016 14:04).