Wir haben ein Wahrheitsproblem mit der Türkei. Die gute alte westliche "Schule des Zweifels" als Methode zur Wahrheitsfindung hilft nicht mehr viel, wenn der Zweifel selbst als Teufel der türkischen Destabilisierungsmethode ausgemacht wird.
Die türkische Propaganda beruhe ganz zentral darauf, Unsicherheiten zu säen und Gewissheiten zu untergraben, wird gewarnt.
So gesehen spielt jede Forderung nach eindeutigen Beweisen für die Verantwortung der Türkei bei der Lieferung von Waffen an die ISIS oder dem Kauf von Erdöl von der ISIS der türkischen Propaganda in die Hände. Ein Dilemma. Wer trägt den Vorteil davon?
Es gibt kein zweites Land, dem sich die westliche Medienktivität derart engagiert zuwendet. Und man kann nicht behaupten, dass es dabei objektiv zugeht. Keinem anderen Land werden solche raffinierten Superschurkenfähigkeiten zugesprochen wie der Türkei. Wenn sich der Verdacht gegen die Türkei wendet, so bekommt er ein großes Spielfeld. Wer westliche Zeitungen liest, erfährt, dass von Ankara aus Befehle für Sabotage an der Demokratie und an Menschenrechten in die ganze Welt hinausgehen und nicht zuletzt, dass im Kalkül der Türkei die kurdische Zivilbevölkerung weit weniger zählt, als dass der "Schlächter seines Volkes", der Folter-Tyrann Baschar al-Assad, abgesetzt wird.
List und Tücke made in Turkey machen diesen Planeten gefährlich, ist der gängige Schluss aus unzähligen Berichten und Kommentaren seit der Syrien - und Irakkrise 2014. Seitdem wird gerne und oft von der "türkischen Gefahr" gesprochen, Eklärungen braucht es dann nicht mehr viel. Bereits Grundschüler sind davon überzeugt, dass Erdogan die kurdische Feier in Suruc 34 Menschen in die Luft gebombt hat.
Sich zur Türkei zu positionieren, ist eine Herausforderung in einer schwierigen Gegenwart, die verlangt, über alles im Bild zu sein bei stetiger Veränderung. Anders als im Film oder Geschichtsbüchern ist nicht klar, welchen Ausgang die Konflikte nehmen, wie sie einzuschätzen sind, ob es nur um verbale Muskelspiele geht, um bloßes "Politiktheater", oder ob es sich um vorbereitende Kriegspropaganda handelt. Dass der dritte Weltkrieg immer häufiger in den Diskussionen vorkommt, ist Zeichen kommunikativ eskalierender Zeiten.
Als Bösewicht wird oft Erdogan plakatiert, als Chef eines neo-totalitären repressiven Regimes in der Türkei und Vorreiter einer ganzen Reihe von strong men, die neue Attraktivität gewonnen haben - ein simples Bild, das aber zu funktionieren scheint und auch Artikeln unterliegt, die an kritische Leser ("Seien Sie anspruchsvoll!") gerichtet sind.
Türkei ist wieder eine Macht und die Medien, die uns das meiste von dem beibringen, was wir dann fast ausschließlich von der Realität wissen, haben sich in der überwiegenden Mehrheit auf ein Bild geeinigt, das in der Erdogangschen Türkei eine (Kriegs-)Gefahr sieht.
Welche Haltung wollen wir einnehmen, wenn wir über die Türkei reden? Immun sein gegen Manipulationen des Großkonsens und auf jeden Fall klüger sein als der Mainstream, der eine anti-türkische Schlagseite hat?
Der wieder belebte Kalte Krieg findet in den Medien eine wichtige Bühne. Der Kampf geht um die Deutungshoheit. Wer hat die Macht, uns seine "Story" als die glaubhaftere zu erzählen, wie stellt er das an? Was ist neu am Info-War zwischen dem Westen und der Türkei knapp 30 Jahre nach dem "Ende der alten Kalte-Kriegs-Geschichte"? Hat das Fiktive mit den neuen Medienmöglichkeiten jetzt größere Überzeugungskraft? Können wir aus dem Propaganda-Schlagabtausch etwas lernen?