Die russische Propaganda beruhe ganz zentral darauf, Unsicherheiten zu säen und Gewissheiten zu untergraben, wird gewarnt. So gesehen spielt jede Forderung nach eindeutigen Beweisen für die Verantwortung Russlands bei Giftattacken in London oder bei Chemiewaffenangriffen des Verbündeten Syriens der russischen Propaganda in die Hände. Ein Dilemma. Wer trägt den Vorteil davon?
Ein solcher Satz ist aber auch typisch für die Krise des Empirizismus, welche das Internet, sowie sicherlich auch die US-Aussenpolitik von 9/11 bis heute eingeleutet hat.
Empirische, handfeste Beweise waren vor 30 Jahren synonym mit der Wahrheit. Die Fakten dienen niemandem und sie spielen niemandem in die Hände. Sie sind für sich da und an ihnen richtet sich das Bild der Realität aus. Sie sind nicht modulierbar. Man kann sie aufdecken und interpretieren, sie stehen aber fest.
Das Problem ist, dass sie nur für einen relativ kleinen Kreis unmittelbar zugänglich sind. Den meisten sind sie nur mittelbar zugänglich. Der Rezipient von Medien hat nichts mehr in der Hand und er muss glauben, dass die Beweise da sind.
Durch das Gebaren im Internet, Fake-News, Photoshop, Brutkastenlügen und WMD-Lügen werden Beweise aber mittlerweile selbst als etwas wahrgenommen, das zugunsten einer Streitpartei hochveränderlich ist. Beweise sind modulierbar, herstellbar und deswegen nicht mehr neutral für sich allein feststehend, sondern mittelbar an eine Streitpartei gebunden. "Cui bono?" tritt an die Stelle von "Was ist, wie ist, warum ist etwas?", weil Beweise schwach geworden sind. Ideologien sind deswegen nicht mehr an eine Referenzrealität gebunden, welche ihnen Recht oder Unrecht geben. Sie fechten ihre Differenzen unmittelbar ohne diese aus. Recht und Unrecht sind dabei nur noch perspektivisch, jenachdem, welcher Ideologie man bisher zutraute, näher an der Wahrheit zu sein.
Ein vergifteter russischer Ex-General im englischen Exil? Das "riecht" nach Russland und ist günstig für die englische Version der Geschichte.
Flüchltinge üben Gewalt aus, begrapschen Frauen? Das spielt Rechten in die Hände und muss von denen "gefaked" oder "moduliert" sein. Das war bestimmt ganz anders!
Obama war so ein netter und der erste Schwarze Präsident. Er hat den Friedensnobelpreis und hat versucht die Welt besser zu machen. Es ist nicht fair, ihm die Schuld an dem zu geben, was in Syrien und Libyen passiert ist. Das würde dem, für das er steht, ja gar nichts nutzen!
Wir leben Erkenntnistheoretisch plötzlich wieder in einer Welt noch vor Immanuel Kant und seiner "Kritik der reinen Vernunft", weil nichts mehr bleibt, als die "reine Vernunft". Ohne empirische Beweise bleibt nur die Überzeugung des "Plausiblen". Aber nicht alles, was plausibel ist, ist wahr.
Das werden furchtbare Zeiten, in welchen die letztendliche Friedlichkeit der eigenen Existenz nichts mehr bedeutet, sondern nur die Position der eigenen Gedanken gegenüber dominanten Ideologien. Hatten wir schon öfter in der Geschichte.