Ich möchte mich in diesem Thread einerseits der Frage widmen, wie Meinungsbildung stattfindet, und andererseits die Art und Weise der Propaganda beider Seiten und ihrer Wirkung auf uns alle analysieren:
Wie funktioniert Meinungsbildung?
Für mich selbst habe ich bisher keinen Ansatz zur klärung dieser Frage gefunden. Offensichtlich dürfte aber sein, daß man das Meiste, daß dem eigenen Weltbild widerspricht, als Irrtum (oder neuerdings als Lüge) abtut, während jegliche Information, die das eigene Weltbild bestätigt, überbewertet wird um es zu bestätigen und weiter zu festigen.
Auch ich habe trotz vollem Bewusstsein darüber dieses Echokammerproblem: Den allgemeine Narrativ von Seiten TP, NDS, fefe etc. übernehme ich weitaus unkritischer in mein Weltbild, als das der MM (Mainstream Medien).
Nach kritischer Analyse könnte man aber ebenso gut zum Schluss gelangen, daß die oben angerissene Echokammer nicht ausreichend über die Propaganda der Gegenseite informiert und dieser quasi in die Hand spielt, sich durch ihre Kurzsichtigkeit unfreiwillig zu ihrem Spielball macht um eine Gegenposition einzunehmen. Zur Aufklärung hingegen wäre Neutralität von Nöten. Dazu später mehr.
Transatlantische vs. Russische Propaganda
Wer hat die Macht, uns seine "Story" als die glaubhaftere zu erzählen, wie stellt er das an?
Anders als im Artikel behauptet, habe ich nicht den Eindruck, daß die transatlantische Propaganda wirklich zum Ziel hat, eine glaubwürdige "Story" zu konstruieren. Gerade in den letzten Wochen war es ziemlich offensichtlich, daß es eher um Behauptungen geht, mit denen sich halt arbeiten lässt. Auch wenn hier und dort eine konkrete Lüge enttarnt worden sein mag, meistens funktioniert es eher so, daß möglichst jeder sich auf irgendjemanden berufen kann. Zum Beispiel eine Rekonstruktion über die Giftgasanschläge in Syrien (ohne Wahrheitsanspruch!):
Erst gibt es einen Anschlag mit Konventionellen Bomben, deren Staub zu Asthmaanfällen führt. Ein Weißhelm schreit "Giftgas!" und eine Massenpanik bricht aus. Die Reaktionen auf den sozialen Medien nimmt der französische Geheimdienst zum Anlass, das Giftgas als Erwiesen anzuerkennen, und prompt gibt es einen Militärschlag!
Niemandem kann man dabei eine vorsätzliche Lüge unterstellen. Das das alles, mehr noch im fall Skripal, irgendjemand glauben soll, da habe ich meine Zweifel, daß ließe sich besser konstruieren. Vielleicht soll uns damit ja sogar gezielt eine gewisse Ohnmacht dadurch suggeriert werden? Offensichtlich dürfte dieses System aber geeignet sein, unmittelbare Verantwortlichkeiten zu vermeiden, so wie es auch von den Geheimdiensten seit eh und je praktiziert wird, siehe NSU.
Bei der transatlantischen Propaganda reicht also die Konstruktion einiger viabler Meme, frei nach Ernst von Glaserfelds "radikalem Konstruktivismus" aus, um Handlungen zu ermöglichen, ohne die Kernakteure potenziellen Skandalen auszusetzen. Sie ist so grottenschlecht, daß sie uns alle vor den Kopf stößt, dabei aber höchst effektiv!
Die Russische Propaganda ist dabei subtiler, und wer sich damit auseinandergesetzt hat mag sie als als eine hohe Kunst betrachten. Sie basiert auf geschicktem Taktieren und, wie völlig richtig im Artikel geschrieben, eher darauf, Zweifel zu sähen. Diese Tatsache mag in diesem Forum auf viel Zweifelstoßen, nicht aber bei Historikern ;-) Schließlich wurden von russischer Seite in Fällen wie Skripal oder MH17 immer mehrere, sich widersprechende Erklärungsmöglichkeiten kommuniziert, an einer Aufklärung schienen sie jedenfalls auch nicht besonders interessiert.
Das Problem der öffentlichen Debatte
sehe ich in erster Linie in der Polarität. In meiner Echokammer, zB. hier auf TP, gibt es ein großes Problem mit der unterbewussten Schlussfolgerung, daß, wenn die NATO-Heinis so offensichtlich lügen, die Russen wohl recht haben müssen, ohne sich weiter damit zu beschäftigen. Schlimmer noch, wird die NATO als Bösewicht gesehen, meinetwegen auch zu Recht, daraus aber gefolgert, daß die Russen die Guten sein müssen. Das ist zwar menschlich, schließlich neigt man dazu sich stets mit den Opfern zu solidarisieren, dem Erkenntnisgewinn ist das aber nicht förderlich!
Die öffentlichen Debatten drehen sich nicht um den Kern des Problems, und da möchte ich auch Telepolis ganz scharf kritisieren. Wenn die Democrats behaupten, daß die Russen ihre Wahl gehackt haben, dann wird das hier grundsätzlich abgelehnt. Zu recht. Wenn dann aber klar ist, daß, in wessen Auftrag auch immer, Cambridge Analytica tatsächlich die Wahl beeinflusst wurde, findet auch hier keine Diskussion über die Kernfragen statt:
- Warum ist es moralisch verwerflich, wenn eine Dritte Partei die Beeinflussung einer Wahl in Auftrag gibt, nicht aber, wenn die entsprechende Partei dies selbst tut?
- Wie konnte es passieren, daß wir so dumm sind, Facebook an unserer Meinungsbildung zu beteiligen?
- Wie ließe sich das verhindern?
- Sind wir wirklich besser?
Ich hoffe, daß ich meinen Standpunkt einigermassen rüberbringen konnte. Es geht mir nicht darum, zu verneinen, daß es möglicherweise bezahlte transatlantische Trollarmeen gibt. Es geht mir darum zu reflektieren, daß es dem Erkenntnisgewinn nicht dienlich sein kann, wenn wir hier als unbezahlte Russentrolle auftreten. Ich habe diese ganzen Dumpfbacken einfach satt, die ständig die Autoren beleidigen, und dies dann damit begründen, daß der Artikel nicht Russlandfreundlich und NATO-kritisch genug war, sondern Spielraum für die Deutung zuließ.
Ein Feind, der eine klare Kritik an mir äußert, ist mir 1000x mehr wert als ein Freund, der mir auf die Schulter klopft, und sagt" jaja, mach nur weiter so!"
Vielen Dank fürs Lesen!