Die NZZ hat kürzlich über die Folgen der Amnestie bei russischen Schwerverbrechern berichtet:
https://www.nzz.ch/international/russland-unmut-ueber-heimkehr-von-straftaetern-aus-dem-ukraine-krieg-ld.1765086
Dieser Tage haben sich Jewgeni Pechtelews düsterste Ahnungen bestätigt. Wladislaw Kanjus, der im Sommer 2022 zu 17 Jahren Strafkolonie verurteilte Mörder seiner Tochter Wera, ist vermutlich am Leben und auf freiem Fuss, begnadigt durch Präsident Wladimir Putin am 27. April dieses Jahres. Keinen Tag soll er im Straflager verbracht haben. Stattdessen liess er sich wohl mit dem Versprechen, nach einem halben Jahr an der Front in der Ukraine in die Freiheit entlassen zu werden, von der mittlerweile aufgelösten paramilitärischen Gruppe Wagner anwerben.
Für die Angehörigen der ermordeten Wera ist die Vorstellung, deren durch besondere Grausamkeit aufgefallener früherer Freund habe für seine Untat kaum gebüsst, schwer zu ertragen. Mit ihrem Schicksal sind sie nicht allein. Die Geschichte zeigt die Abgründe von Russlands Krieg auch jenseits des Schlachtfelds, in der russischen Gesellschaft.
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Die Begnadigung Kanjus’, der damit im Unterschied zu gewöhnlichen Haftentlassenen ohne weitere polizeiliche Auflagen in Freiheit ist, war ein grosser Schock für Pechtelewas Eltern und auch für Aktivistinnen, die sich um den Fall bemüht hatten. Im Sommer war Journalisten ein Video zugespielt worden, das Kanjus in Uniform zeigte. Im September erhielt Pechtelewas Mutter Oxana über Bekannte ein Foto, auf dem der Mörder ihrer Tochter beim Grillieren abgebildet war. Daraufhin forschte der Vater nach. Ein Schreiben der Staatsanwaltschaft brachte nun die Gewissheit, nach den düsteren Ahnungen.
Kanjus’ Rückkehr von der Front ist kein Einzelfall. Aus ganz Russland sind Dutzende von Beispielen verurteilter Mörder, Vergewaltiger und Räuber bekannt, die den Kriegseinsatz überlebt haben und wieder in Freiheit leben. Die Vorstellung, dem Mörder ihrer Kinder oder Ehepartner auf der Strasse zu begegnen und zu wissen, dass dieser seine Strafe nicht abgesessen hat, sondern in der Zwischenzeit weitere Menschen getötet haben dürfte und sich jetzt erst noch als Kriegsheld fühlt, ist für Angehörige schwer erträglich.
Ich finde das Vorgehen der russischen Regierung in dieser Sache einfach nur abstossend. Leider ist dies nur eines von vielen Beispielen, wie aus einem vormals modern aufgestellter Staat sich wieder auf dem Weg ins Mittelalter begiebt.
Flinx