Nayaro schrieb am 25.09.2022 22:07:
Eine sehr schöne Zusammenfassung auf Makroebene!
Auf individueller Ebene sieht es etwas anders aus:
Der Staat macht plötzlich Krieg (als Grundvorraussetzung, üblicherweise gibt es ja vorher keine Volksabstimmung darüber).D.h. beispielsweise wird die Wirtschaft auf kriegsrelevante Wirtschaftszweige umgestellt. Sollte man nicht in so einem Bereich arbeiten, dann hat man möglicherweise ein reduziertes Einkommen (da das Unternehmen in dem man arbeitet keine Ressourcen oder Aufträge mehr bekommt) oder wird ganz arbeitslos. Die Konkurrenz in noch funktionsfähigen Betrieben einen Job zu bekommen dürfte recht hoch sein. Darin liegt die erste Motivation, sich für das Militär zu melden, insbesondere wenn man eine Familie hat und den Anspruch erhebt, diese zu versorgen.
Im Falle einer Mobilisierung hat man ohnehin nur die Wahl zwischen Gefängnis wegen Kriegsdienstverweigerung und Dienst an der Waffe. Im ersten Fall hat man wieder das Familie-Versorgen-Problem.
Und dann gibt es natürlich noch den gesellschaftlichen Druck. Die Nachbarn sehen ja, wenn man als männlicher offensichtlich waffentauglicher Mann in der Gegend rumläuft ohne eine Uniform. Ich gehe davon aus, dass in den Medien ein entsprechend negatives Bild von solchen Personen gezeichnet wird ("Feigling", "Verräter" o.ä.)
Ja, korrekt, das sind einige der negativen sozialen Folgen, die die konkrete Bedrohung und Vernichtung von Menschenleben mit einschließen.
Was sich jetzt wegen der brutalen Repression in Russland nur zaghaft, aber immerhin öffentlich gegen die Teilmobilmachung als Widerstand regt, müsste massenhaft v.a. in den Staaten stattfinden, in denen die Repression des Staates im Vergleich noch etwas geringer ist, also etwa in Staaten der europäischen Union.
Besser noch wäre es gewesen, wie das schon immer der Fall war, wenn weit vor den jetzigen Ereignissen die Straßen, Foren, Kongresse usw. weltweit voll gewesen wären mit klaren Forderungen gegen das mörderische Geschäft auf allen Seiten, also letztlich gegen das auf Hegemonialstreben angelegte Weltkonkurrenzprinzip.
Leider orientieren sich die meisten ausschließlich an ihrem kleinen "Glück" in Familie, Freundes - und Arbeiskollegenkreis und sind überrascht, verängstigt, hilflos, nicht solidarisch usw., wenn das Kapital und/oder der Staat ihr kleines "Glück" zerstört. Dazu kommt noch der Nationalismus der riesigen Bevölkerungsmehrheit nahezu in allen Staaten/Gesellschaften, der dann doch die große Mehrheit zum willigen Gang zur Schlachtbank motiviert, selbst wenn ein Teil sogar auch wütend oder zornig oder mit Staat und Kapital gar nicht so ganz einverstanden ist.
Außerdem erreichen staatliche Aggression nach außen und staatliche Repression nach innen in Kriegszeiten ihren Höhepunkt. Auch das ist voraussehbar, aber leider nur von wenigen, weil sich die riesige Mehrheit eben nicht mit der Gesetzgebung und dem Verordnungswesen des Staates beschäftigt, in denen offen beschrieben und festgelegt ist, inwieweit der Staat über seine Bürger verfügt und wie diese Verfügungsgewalt in Vorkriegs- und erst recht in Kriegszeiten dazu führt, dass das einzelne Leben und auch das Leben ganzer Bevölkerungsgruppen nur noch dann Wert hat, wenn es andere Leben für Staatszwecke (meist Hegemoniestreben für ökonomische Interessen) vernichtet und sein eigenes Leben dafür einsetzt.
Könnte alles bekannt sein, ist auch keine Meinung, sondern offiziell niedergeschrieben.
Insgesamt ist aber ernsthafter und mengenmäßig starker Widerstand gegen Krieg und Kriegsvorbereitung nach meinem Eindruck so weit weg wie selten in der Geschichte des (Welt-)Kapitalismus. Allerdings können Zuspitzungen auch schnell neue Entwicklungen hervorrufen.
Leseempfehlungen beispielhaft für die deutsche Untertanenlage in (Vor-)Kriegszeiten:
Verteidigungspolitische Richtlinien:
1992
https://zeitgedankenweb.files.wordpress.com/2017/09/verteidigungspolitische_richtlinien_1992.pdf
2003
https://zeitgedankenweb.files.wordpress.com/2017/09/verteidigungspolitische_richtlinien_2003.pdf
2011 (die zur Zeit noch gültigen)
https://www.bmvg.de/resource/blob/13568/28163bcaed9f30b27f7e3756d812c280/g-03-download-die-verteidigungspolitische-richtlinien-2011-data.pdf
Weißbuch der Bundeswehr (von 2016):
https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/weissbuch
Notstandsgesetze (seit 1968 gültig):
https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0018_not_de.pdf
Grundsatzrede zur Nationalen Sicherheitsstrategie von Verteidigungsministerin Lambrecht vom 12.09.2022:
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/grundsatzrede-zur-sicherheitsstrategie-5494864
Gültige NATO-Strategie - Strategisches Konzept der NATO 2022:
https://nato.diplo.de/nato-de/service/-/2539668
Statistiken zu militärischer Präsenz/Auslandsstandorte:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1134544/umfrage/militaerische-einrichtungen-der-us-streitkraefte/
http://commons.ch/deutsch/wp-content/uploads/Länder-nach-Anzahl-an-Militärbasen-im-Ausland-2015-1.pdf
Rüstungsexport, rechtliche Grundlagen in Deutschland:
https://www.bdsv.eu/themen/exportkontrolle/articles/der-rechtliche-rahmen.html
Rüstungsexport - Anteile nach Ländern:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/151877/umfrage/weltweite-marktanteile-am-export-von-konventionellen-waffen-nach-nationen/