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899 Beiträge seit 20.10.2020

Re: Will Russland ein zweites Nordkorea werden?

Ich denke, du machst einen großen Fehler, wenn du Russland oder von den Russen schreibst. Beide haben in dem ganzen Theater rein gar nichts zu sagen. Es geht um Putin und seine Junta. Putin hat immer wieder deutlich gesagt, dass er "bestimmte Entwicklungen nicht akzeptieren wird", nicht die Russen. Alle Russen, die da eine andere Sicht auf die Dinge haben, sind entweder tot, im Gefängnis oder im Exil.

Putin ist bösartig und, ja, Putin ist ein Vollidiot. Das alles mag wie ein genial ausgetüftelter Plan aussehen. Aber wenn man das mal vom Ende her denkt: Was soll dabei eigentlich rauskommen? So richtig klar ist mir das nicht. Klar ist dagegen: lohnen wird sich das für die Russen nicht.

Nehmen wir ruhig mal an, er schafft es, die Ukraine komplett zu unterwerfen. Dann wird er also irgend eine Marionette installieren (Janukowitsch oder sowas in der Art), ein paar Wahlen simulieren. Einige Ukrainer werden sich finden, die sich mit der putinschen Obrigkeit arrangieren und den Laden organisieren (in erster Linie Polizei). Und dann? Werden die Ukrainer einfach ihr Leben weiterleben, als wäre nichts passiert, als wären nicht 10tausende von ihnen, und zwar in erster Linie die angeblich zu beschützenden russischsprachigen Ukrainer, umgebracht worden, wegen rein gar nichts? Das wird nur mit "Zuckerbrot und Peitsche" funktionieren. Das Mischungsverhältnis ist spielt dabei keine Rolle, beides ist teuer. Irgendwie muss die Ukraine auch wieder aufgebaut werden, alles, was da in Klump geschossen wurde. Und dabei hat Russland schon enorme Ausgaben für ähnliche Fälle: Tschetschenien, die abgebissen Stücke von Georgien, den Donbass, die Krim, Transnistrien. Und Weißrussland (meine Heimat, übrigens) kann man da getrost mit dazu zählen: über 100 Milliarden Dollar in den letzten 20 Jahren! Wirtschaftlich gesehen alles Verlustgeschäfte.

Mal aus der Perspektive eines russischen Normalbürgers in der Provinz betrachtet, würde ich mich doch ganz egoistisch-neoliberal fragen: Was kommt dabei für mich eigentlich rum? Ist den das Kaputtschießen von Städten in der Ukraine jetzt wirklich wichtiger als z.B. die Renovierung der Schule, wo meine Kinder in ein Loch im Boden sch... müssen?

Und noch eine Sache: wenn Russland die Rohstoffe in den 90ern an "den Westen" (den es so gar nicht gibt, sondern einfach nur Konzerne) verkauft hätte, wäre doch für die Russen viel mehr dabei rausgesprungen. Was wäre denn an einem transparenten Verkauf, wo der gewinnt, der den höchsten Preis zahlt, so furchtbar gewesen? Statt dessen wurde doch alles mehr oder weniger an "Family & Friends" in irgendwelchen Hinterzimmerrunden verteilt. Außerdem glaub ich nicht, dass so etwas über Verkauf funktionieren muss, wo also jemand ein Grundstück mit Gas/Öl drunter bekommt und ihm das dann alles gehört. Eher so: du darfst für die nächsten 20 Jahre so und soviel fördern, welchen Preis zahlst du uns dafür, wieviele Arbeitsplätze schaffst du, wieviel wirst du investieren? Und beim Umweltschutz machst du, was immer unser Parlement beschließt, dein Risiko.

Manche lassen sich davon beirren, dass die westlichen Konzerne überhaupt kein Thema damit haben, mit irgendwelchen Despoten zu kungeln und dabei einen Deal aushandeln, der für die jeweilige Bevölkerung miserabel ist. Das ist doch aber keineswegs zwingend! An den Konzernen liegt's doch gar nicht, die investieren genau dann, wenn es sich lohnt. Ob der Gewinn jetzt irgendeiner Autokratenclique oder wirklich dem Volk zugute kommt, ist dem Konzern doch vollkommen egal, solange er für sein Investment auch was bekommt. Ganz im Gegenteil: demokratische Länder sind viel stabiler und berechenbarer. Man muss nicht damit rechnen, dass es morgen einen Putsch gibt oder dass man schlicht enteignet wird. Oder so ausgedrückt: in einer Diktatur muss sich ein Investment schon in wenigen Jahren rentieren, sonst ist es zu riskant => Konzern verlangt mehr, für den Herrscher bleibt genug für Paläste übrig, für's Volk nix. In einer stabilen Demokratie sind auch Jahrzehnte gut genug => mehr bleibt für den Staat, der dann in Infrastruuktur investiert, soziale Wohltaten finanziert, fortschrittliche Industrien fördert.

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