Putin hat seit dem Ende der 90er-Jahre zunächst allmählich, dann immer konsequenter eine gefährliche Lehre wiederbelebt, die wir Deutsche unter Hitler leider zu gut kennen: Zunächst Wiedererstarkung des immer totaler gelenkten Zentralstaates vor allem durch Repressionen sowie pseudodemokratische, nationalistische wie auch imperial ausgerichtete Simulationen. Nach hinreichender Kontrolle und Ausrichtung der russischen Gesellschaft dann der Übergang hin zu seiner Aggression nach außen, pseudolegitimiert durch den historischen imperialen Anspruch einer von ihm propagierten "eigenständigen" russischen Zivilisation und Mission. Auf diesen beiden Kernentwicklungen gründet sein Ziel einer neuen Weltordnung mit einigen maßgeblichen territorialen Großräumen als deren strukturelle Hauptelemente. Entsprechen konsequent seine Absicht zur maximalen Zerstörung alter Ordnungselemente - zunächst in Europa, aber auch im Westen und dessen für ihn inakzeptablen Werten insgesamt. Vor dieser historischen Gestaltungsaufgabe erscheint die Ukraine eher wie ein willkommener und von ihm schrittweise seit 2004 manipulierter Anlass, in diese - wie er glaubt - neue Phase der Menschheitsgeschichte gestaltend einzutreten. Die Konsequenz dieser ideologischen Verirrung (u.a. Russkaja Ideja) ist ein immer zerstörerischer russo-zentristischer Selbstbehauptungswille, der keine Rückkehr zu früheren bindenden Ordnungselementen anstrebt (im Gegensatz hierzu z.B. unter Gorbatschow und Jelzin: Werteannäherung, breite Dialog- und Kooperationsbereitschaft in allen Bereichen, Kooperative Sicherheitspolitik, Vernünftige Hinlänglichkeit der Verteidigung, Abgesicherte Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung durch Transparenz etc.). Die ideologische, ja paranoide Selbstbindung Putins und seiner Führung an das Ziel einer neuen Weltordnung dürfte eine Kriegsbeendigung auf dem ukrainischen Schlachtfeld nach Mustern des 19. und 20. Jahrhunderts im europäischen Raum erheblich erschweren. Einen Frieden von Münster, einen Wiener Kongress, eine Potsdamer Konferenz oder eine Charta von Paris wird es voraussichtlich nicht mehr geben. Zudem drängen große neue Mächte aus eigenen Gründen und mit eigener politischer Kultur in diese neuere Entwicklung mit jeweils eigenem Gestaltungsanspruch hinein. Auch pensionierte Generäle müssen erkennen, dass der Ausspruch von Clausewitz über den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln eine gefährliche Neuinterpretation unter Putin erfährt, die eine Rückkehr zu einer Politik des Ausgleichs für lange Zeit versperren dürfte. Möge sich das ansonsten zerfallende Berlin möglichst realistisch die Augen reiben und rasch die kürzliche Rechnung aus Karlsruhe im Konsens aller demokratischen Kräfte begleichen, um diesen von Putin gewollten Kampf mit hinreichenden Kräften zu bestehen. Dabei sollte die Verantwortlichen auch prüfen, ob einige unter anderen europäischen Voraussetzungen eingegangenen sicherheitspolitischen und rüstungskontrollpolitischen Verpflichtungen aus dem 2 plus 4 Vertrag, die selbstverständlich auch Russland binden, nicht durch die aggressive Politik Putins obsolet geworden sind.