1. Auch wenn die Lage an einigen Frontabschnitten sich nicht als vollkommen hoffungslos darstellt, so entscheidet doch insgesamt die Fähigkeit eines Landes, mittel- und langfristig die erforderlichen Ressourcen an Menschen und Material bereitzustellen. Und da hat nun einmal Russland die Oberhand. Siehe dazu und zu den folgenden Ausführungen auch: https://makroskop.eu/38-2023/die-zeit-laeuft-gegen-die-ukraine/
2. Die Autoren bauen den Strohmann auf, Kujat et.al. hätten behauptet, es hätte schon fast einen verhandelten Frieden gegeben. Das ist nicht richtig. Sie dokumentieren das ukrainische Papier, das in Istanbul an Russland übergeben wurde. Darin werden die Eckpunkte genannt, auf die man sich im Vorfeld geeinigt habe. Das bestätigt Bennett im Interview:https://youtu.be/qK9tLDeWBzs?t=8395 Man habe an bestimmten wichtigen Punkten in den Vorgesprächen Durchbrüche erzielt, die als Basis für weitere Verhandlungen hätten dienen können.
3. Die Autoren behaupten, es stimme nicht, dass der Westen die weiteren Verhandlungen verhindert habe und berufen sich auf „Korrektiv“. Demnach seien Bennetts Worte im Interview falsch als „blockiert“ übersetzt worden. Das habe er nicht gemeint, sondern die hebräische Wortwahl sei richtiger mit „stoppen“ oder „einstellen“ zu übersetzen. Die Übersetzerin interpretiere das als eher „passiveres“ Verhalten des Westens. Unabhängig von der konkreten Wortwahl stellt Bennett im Interview eindeutig klar, dass der Westen die Verhandlungen nicht zum Erfolg bringen wollte. Er diskutiert dann weiter seine Haltung dazu. Er sei damals von der Richtigkeit des Friedens überzeugt gewesen; das begründet er auch ausführlich mit denn negativen Kriegsfolgen. Andererseits könne er nachvollziehen, dass es gute geopolitische Gründe für die Biden-Administration gegeben habe, sich nicht auf eine Verhandlungslösung einzulassen; auch dazu finden sich im Interview Gründe.
Der Korrektiv-Text führt dann weiter aus:
„Welche Ereignisse letztendlich zum Abbruch der Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine führten, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik weist jedoch darauf hin, dass es mehrere wesentliche Faktoren gab: der Kriegsverlauf, die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen und die Überzeugung, Russland militärisch Einhalt gebieten zu können."
Das jedoch bestätigt die Haltung des Westens, dass man kein unmittelbares Ende der Kampfhandlungen wünschte, sondern Russland eine militärische Niederlage bereiten wollte.
4. Die Autoren sagen, es seien die Ereignisse in Bucha gewesen, die zum Verhandlungsabbruch geführt haben, und Bennett bestätige dies. Das tut er nicht. Bucha und die Haltung des Westens werden als zwei verschiedene Stränge gesehen. Ab Minute 2:45:40 wird Bucha kurz angesprochen:
Interviewer:
„That was … pre-Bucha.“ Bennett: „The Bucha massacre – once that happened, I said, it’s over.“
Viel später im Interview geht Bennett dann ausführlich auf die Gründe des Westens für den Abbruch ein. (Vergl. dazu auch meine detaillierte Analyse des Bennett-Interviews https://makroskop.eu/10-2023/kann-man-mit-putin-verhandeln/.)
Zudem gab Selenskij nach den Bucha-Vorfällen ein Interview, in dem er weiter auf Verhandlungen setzte. Das bestätigt auch der angeführte Korrektiv-Text. Nach Bucha seien die Verhandlungen zunächst weiter gegangen.
5. Die Autoren halten das Thema „Sicherheitsgarantien“ für das strittigste Verhandlungsthema. Damit bestätigt sich die Aussage von Kujat et.al., die schreiben, Johnson sei mit der Botschaft nach Kiew gegangen, dass der Westen nicht bereit sei, der Ukraine die nach dem Verhandlungsvorschlag gewünschten Sicherheitsgarantien zu geben. Das war der Knock-Out.
6. Ein Großteil des Artikels ist der These gewidmet, Putin bilde sich die Bedrohung durch die NATO nur ein und benutze diese gefühlte Bedrohung als Vorwand und PR-Mittel, um seine wirklichen Pläne zu verdecken. Deswegen könne es Verhandlungen mit Russland erst nach seinem Rücktritt geben.
Dazu wird jeder wirkliche Diplomat sagen, dass es nicht darum geht, ob das was die Gegenseite empfindet, wirklich zutrifft, sondern darum, was diese Seite als real ansieht. Und hier ist es wieder Bennett, der sehr genau die russische Sicht darstellt und historisch begründet (die im Übrigen vielen westlichen Diplomaten und Politikern, einschließlich Biden und einschließlich der möglichen Folgen, durchaus bekannt war). Dieses Verständnis für die Befindlichkeiten beider Verhandlungspartner ist für Bennett die Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit eines Vermittlers.
Es würde hier zu weit führen, auf die Fakten einzugehen, die zeigen, dass die Russen außerdem auch genügend reale Gründe dafür hatten, sich bedroht zu fühlen. Dass die Ukraine mit NATO-Unterstützung eine schlagkräftige Armee aufbaute, ist jedenfalls nicht zu leugnen.
7. Es gibt weitere Indizien, dass der Komödiant Selenskij seine im Wahlkampf gespielte Rolle als Friedensbringer ernst nahm. Die Washington Post berichtet https://www.washingtonpost.com/world/2023/02/22/volodymyr-zelensky-president-war-ukraine/, dass er sich in seinem ersten Amtsjahr darum bemüht habe, die Umsetzung der Minsk-Vereinbarungen im Sinne der „Steinmeier-Formel“ voranzubringen, und dass ein verantwortlicher amerikanischer Diplomat – Taylor - dies ihm gegenüber als „terrible idea“ bezeichnet habe. Obwohl der UN-Sicherheitsrat das Minsk-Abkommen unterstützte, wurden auch schon im Vorfeld des russischen Einmarsches diplomatische Chancen bewusst verschenkt.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (23.11.2023 14:54).